Cyberpunk 2077

Test Cyberpunk 2077 nach Patch 1.5: Zwischen Wunder und Enttäuschung

von Michael Sonntag (Montag, 21.02.2022 - 12:10 Uhr)

Cyberpunk 2077: Michael testeste es zum Release, sieben Monate später und nun ein drittes Mal nach 14 Monaten. Das Spiel begeistert und zerstört ihn immer noch.
Cyberpunk 2077: Michael testeste es zum Release, sieben Monate später und nun ein drittes Mal nach 14 Monaten. Das Spiel begeistert und zerstört ihn immer noch.

Michael, du hast doch Cyberpunk 2077 direkt zum katastrophalen Release getestet, oder? Und dann noch mal sieben Monate später, als Sony nach der Überarbeitung die verbannte PS4-Version wieder in den PlayStation Store aufgenommen hat?" Ja, habe ich. "Hast du gesehen, dass CD Projekt Red jetzt endlich den Next-Gen-Patch veröffentlicht hat?" Ja ... habe ich. "Könntest du einen letzten Blick hineinwerfen?" Ja ... kann ich machen. Taxi, einmal bitte nach Night City! Halten Sie bei dem Typen, der wie Scifi-John-Wick aussieht ... Wir kennen uns.

Cyberpunk 2077 ist fertig – Träume ich?

Cyberpunk 2077 erhielt letzten Dienstag den sagenumwobenen Patch 1.5, der nicht nur die Versionen für PS5 und Xbox Series lieferte, sondern auch dutzende Erweiterungen, Anpassungen und Verbesserungen des Hauptspiels mit sich brachte. Jetzt ist das Spiel fertig. Eigentlich ein Grund zum Feiern. Wenn es der eigentliche Release von Cyperpunk 2077 wäre. Ist es aber nicht, Cyberpunk 2077 erschien im Dezember 2020, womit dieser Patch (oder Neu-Release des Spiels) (abgesehen von den vielen Jahren Marketing-Hype) eine vierzehnmonatige Vorgeschichte voller Bemühungen und Enttäuschungen aufweisen kann, die ich jetzt nicht wiederholen werde, da wir sie alle kennen. Abgesehen von den Leuten, die die Katastrophe seit Anbeginn leugnen.

Cyberpunk 2077 sollte eine Gaming-Utopie werden und zeigte uns stattdessen eine neue Dimension einer Gaming-Dystopie. Ich weiß, was ihr denkt: Können wir das nicht alles vergessen und hinter uns lassen? Ich fürchte nicht. Egal, was Patch 1.5 bewirken mag, es ist unmöglich, ihn unabhängig vom einstigen Cyberbug 2077 wahrzunehmen. Abgesehen von einer Gruppe: Den Spielern, die mit Patch 1.5 einsteigen, die vermutlich viele beneiden, darunter auch ich. Euch präsentiere ich hier nun Cyberpunk 2077. Allen anderen zeige ich Patch 1.5, der das Spiel an vielen Stellen verbesserte und an anderen verschlechterte. Nein, es ist nicht ganz fertig. 14 Monate später immer noch nicht ganz.

  • Mit einem neuen Trailer präsentiert CD Projekt Red die Power der Next-Gen-Versionen:
Cyberpunk 2077: Next-Gen Gameplay

Vom Straßengangster zum Soulkiller: Die Story bleibt Cyberzauber

Wenn eine Geschichte beim dritten Spieldurchlauf immer noch fesselt, schockiert und beeindruckt, ist sie nicht nur gut, sondern herausragend. Cyberpunk 2077 erzählt von der Karriere eures selbsterstellten Söldners V, der von einem Leben in Saus und Braus an der Spitze der Zukunftsmetropole Night City träumt – bis der alles entscheidende Coup in einem Massaker endet. Aber dank eines visionären Chips entgeht V dem Tod, nur um auf eine viel schlimmere Mission geschickt zu werden: Gemeinsam mit der Seele des Terroristen Johnny Silverhand in seinem Kopf, der nach und nach seinen Geist übernimmt, soll er die Machenschaften eines Konzernchefs aufhalten. Die Geschichte ist gut und die Inszenierung macht sie unvergesslich.

Die tiefgehenden Gespräche mit den Figuren, die eindrucksvollen Szenen aus der Egoperspektive, die vielen Entscheidungen, mit denen jeder Spieler die Persönlichkeit seines oder seiner V gestalten kann, die an so vielen Twists zerschellende Geschichte – Cyberpunk 2077 ist ein Story-Gewitter, das sich Zeit nimmt und euch tief in den Cyberpunk-Kosmos reißen will und die Stärken von Telltale, The Last of Us und The Witcher in sich vereint. Patch 1.5 änderte – bis auf ein paar mehr Dialoge – nichts am Spiel. Das war auch nicht nötig, das war niemals seine Baustelle, sondern seine größte Stärke. Aber auch wenn ich es beim dritten Mal immer noch liebend gern erlebe, spiele ich es immer noch nicht gern.

Als Nobody leben oder als Legende draufgehen: Diese Frage stellen sich viele Gangster in Night City.
Als Nobody leben oder als Legende draufgehen: Diese Frage stellen sich viele Gangster in Night City.

Cyberpunk 2077 will ein RPG sein und das schadet ihm

Beim ersten Durchlauf kämpfte ich mehr gegen die Bugs als gegen Gegner, im zweiten Durchlauf konnte ich dann endlich in das Gameplay eintauchen und mit meinem Cyber-Samurai eine Gewaltorgie nach der anderen aufführen – bis dann Patch 1.5 in meinem dritten Durchlauf bestimmte Schwächen verstärkte und mir eines offenbarte: Cyberpunk 2077 ist trotz aller RPG-Elemente kein RPG und je mehr ich versuche, es wie ein RPG zu spielen, desto weniger Spaß habe ich.

Ich muss verinnerlichen, dass ich in Cyberpunk 2077 eine großartige Geschichte anhand linearer Missionen erleben kann. Aber abgesehen von einer bestimmten Stelle, die zu unterschiedlichen Enden führt, suggerieren alle Entscheidungen mehr Einfluss auf die Geschichte als sie wirklich haben. Ob ich nun einen Samurai, einen Hacker oder einen Revolverhelden spiele, die Geschichte und Welt interessieren sich dafür nicht, mal abgesehen von den drei verschiedenen und doch spielerisch kaum relevanten Spieleinstiegen als Street Kid, Nomade oder Firmenangestellter. Mit wem ich eine Beziehung eingehe, bleibt da noch die schönste, aber auch einzige RPG-Entscheidung.

Die Kämpfe in Cyberpunk 2077 sind nun herausfordernder, aber teilweise auch zäher. Und kurios, wenn dann doch wieder mal Bugs auftreten.
Die Kämpfe in Cyberpunk 2077 sind nun herausfordernder, aber teilweise auch zäher. Und kurios, wenn dann doch wieder mal Bugs auftreten.

Die Kämpfe dazwischen bilden den Großteil des Gameplays, die sich zwischen Ego-Shooter und RPG aufhalten und sich durch Patch 1.5 noch einmal deutlich verändert haben (nicht dokumentierte Gameplay-Änderungen durch Patch 1.5 (Quelle: Reddit)):

  • Viele Perks wurden abgeschwächt, der Effekt der Spezialisierung wird erst später spürbarer
  • Viele Waffen wurden abgeschwächt, Gegner halten mehr aus
  • Die Wahrscheinlichkeit für kritische Treffe wurde stark gesenkt (vor allem kurios, wenn Gegner nun dutzende Kopfschüsse brauchen, um das Zeitliche zu segnen)

Das ändert das grundlegende Balancing des Spiels und stört (für mich) gleichzeitig die Einbindung in das Setting: Anstatt schnell zu einer alles killenden Tech-Gottheit aufzusteigen, die das Spiel ursprünglich etwas zu einfach machte, sind die Action-Kämpfe nun gleichzeitig herausfordernder, aber auch zäher geworden. Mittels Leveln, Skilling und den richtigen Waffen können Spieler irgendwann einen Punkt erreichen, an dem die Kämpfe wieder ausgeglichener sind und mehr Spaß machen, aber bis dahin braucht es Zeit.

Von der Gottphantasie zum ständig Schwitzenden – ich halte diesen Schritt für eine Verschlimmbesserung, vor allem wenn die KI weiterhin Aussetzer hat. Es macht Laune, man muss sich drauf einlassen, aber hier eröffnet sich für jeden Moment umherfliegender Kugeln ein anderes Spiel. Die perfekte Balance ist immer noch nicht gefunden und der RPG-Anteil macht die Kämpfe unspektakulärer als sie sein könnten. Deus-Ex-Action-Ballereien würden hier deutlich besser reinpassen.

Grafischer Augenschmaus: Night City ist auf der PS5 eine Welt, die nur so vor Details, Licht und Atmosphäre strotzt.
Grafischer Augenschmaus: Night City ist auf der PS5 eine Welt, die nur so vor Details, Licht und Atmosphäre strotzt.

Night City: Das Grafik-Wunder und die Spielwelt-Wüste

Und ja, die Grafik auf den Next-Gen-Konsolen macht einen verdammt guten Job. Neon-Reklamen, SciFi-Karren, dutzende Passanten, von Gangster bis Snob ist alles dabei und überall blutet diese Stadt Details und Atmosphäre – Night City ist auch vierzehn Monate später eine beeindruckende Spielwelt, die jetzt in unglaublicher Schönheit und Grausamkeit erstrahlt. In jeder Richtung winken interessante Orte, von Bars bis Slums, Night City ist keine bloße Kulisse, sondern ein wahrgewordener Traum für Cyberpunk-Fans, die sämtliche Kultur und Technik aufsaugen wollen.

Bis wir zum Open-World-Inhalt und ihren Aktivitäten kommen: Auch vierzehn Monate später kann die Stadt im Vergleich zu anderen Open Worlds nicht viel Zerstreuung oder Abwechslung bieten. Killaufträge für Cops oder Banden, Straßenrennen, Klamotten shoppen und Autos frisieren – abseits der Haupt- und Nebenquests gibt es hier kaum etwas oder zumindest Nennenswertes zu tun, das die Erfahrung signifikant erweitern würde. Passanten reagieren durch Patch 1.5 realistischer, Polizisten handeln aggressiver, aber von einer GTA-Qualität ist Night City immer noch weit entfent.

Neue Apartments, neue Waffen, neue Interaktionen in Romanzen: Patch 1.5 liefert neben Bearbeitungen auch ein paar neue Inhalte.
Neue Apartments, neue Waffen, neue Interaktionen in Romanzen: Patch 1.5 liefert neben Bearbeitungen auch ein paar neue Inhalte.

Die entscheidende Frage: Ändert Patch 1.5 alles? Lohnt sich Cyberpunk 2077 umso mehr?

CD Projekt Red hat es endlich getan, Cyberpunk 2077 ist nun fertig und bietet nun seine beste Spielerfahrung. Vor allem auf den Next-Gen-Konsolen sieht es unglaublich gut aus. Vor allem Neueinsteiger sollten jetzt zugreifen. Aber wer gehört zu diesen? Entweder sind es Fans, die bisher nicht zugegriffen haben und meinen Respekt verdienen, oder es sind Leute, die den Release ignoriert und jetzt vermutlich auch nicht nachkommen werden. Und für die Fans, die alles mitgemacht haben? Sollten sie Cyberpunk 2077 jetzt noch eimal wegen Patch 1.5 spielen? Das muss jeder Fan für sich selbst entscheiden, aber hier meine Meinung:

Für mich ist Patch 1.5 die nachgereichte Release-Version und kein wirklicher DLC, den es aber jetzt nach vierzehn Monaten eigentlich gebraucht hätte, um Wiedergutmachung zu leisten und vielleicht sogar den Hype wiederzubeleben. Neue Quests, neue Gebiete, etwas wirklich Neues, aber Patch 1.5 umfasst mehr überfällige Reparaturen als nennenswerte Inhalte. Zu den größten Erweiterungen gehören die ausgebauten Beziehungen, die neuen Wohnungen und neuen Waffen – aber ehrlich gesagt: Sie wirken wie eine nette, aber wirkungslose Versöhnungsdreigabe auf mich. Ich habe Cyberpunk 2077 längst durchgespielt und werde es nicht wegen Patch 1.5 noch einmal durchspielen. Denn das Spiel ist gleich gut geblieben, auch wenn die Kämpfe jetzt anders sind. Cyberpunk 2077 ist fürs Erste nicht No Man's Sky, dessen Potenzial erst über die Jahre deutlich gemacht werden konnte.

Der Zeitpunkt des Patch-Releases ist aufgrund seines Inhalts schwierig und ich kann nur schwer sagen, wie viel Einfluss dieser noch auf das Schicksals des Spiels nehmen kann. Der nächste DLC müsste sehr schnell folgen, um darauf aufzubauen. Andererseits wirken die Fans auf Reddit sehr zufrieden, auch wenn das nicht für die Allgemeinheit sprechen muss (Quelle: Reddit). Wie auch immer – Mein Kollege Sanel hat schon recht, wenn er sagt, dass der Zeitpunkt unpassend ist – für eine Schlacht, die vermutlich längst entschieden ist.

- Wir können keine Aussage zur Performance des Patch 1.5 auf der PS4 machen, da wir ihn dort nicht getestet haben.

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spieletipps meint: Ab Patch 1.5 ist Cyberpunk 2077 so fertig wie noch nie. Das Spiel selbst umfasst alles, von Wunder bis Enttäuschung.

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