von Daniel Kirschey (Montag, 09.11.2015 - 14:00 Uhr)
Das Spiel des Jahres 2015 ist Fallout 4 … oder etwa doch nicht? Der Test verrät euch, ob das meist erwartete Spiel 2015 euren Erwartungen gerecht wird.
Was ist das? Statt heruntergekommener Häuser, verdorrter Bäume und rissiger, trockener Erde scheint die Sonne in ein gemütliches Wohnzimmer. Der Fernseher läuft, die Frau rumort im Hintergrund in der Küche herum. Plötzlich stört ein lautes Geräusch die angenehme Ruhe. Ein Kleinkind schreit. Ein bisschen Knuddeln und einmal das Mobile anstoßen und schon kehrt wieder Ruhe ein. Ist das denn wirklich Fallout 4?
Ja, denn schon klingelt es an der Tür. Vertreter gibt’s auch in Videospielen. Der nette – etwas spröde – Herr ist von Vault Tec und will die Formalitäten bezüglich des Familieneinzugs in die Sicherheit abklären. Wer weiß, vielleicht fallen ja schon morgen die Atombomben. Sobald er wieder weg ist, wird klar, dass sie nicht morgen und auch nicht übermorgen fallen: Die Apokalypse malt den roten Horizont mit der dicken Pilzwolke in eindringlichen Farben schon für den heutigen Tag ans Firmament.
Der Fernseher berichtet noch kurz in hysterischen Tönen, dann ist er stumm. Kreischende Menschen und Hubschrauberrotoren dringen an die Ohren. Die Frau schreit. Die Heimatstadt Sanctuary ist nicht groß und der nächste Vault wartet mit süßen Versprechungen von Sicherheit und Schutz auf der nächsten Hügelkuppe.
Überall steht Militär und leitet die Menschen zum Bunkerkomplex. Ein Hoch auf die Bürokratie: Nur wer auf der Liste steht, kommt in den Vault. In die Sicherheit. Den Schutz. Spielern, die sich mit der Fallout-Serie ein bisschen auskennen, schleicht sich nun wohl ein wissendes Lächeln auf die Lippen. Vaults … die bieten alles andere als Schutz. Und ihr seid gerade in die Falle getappt. Ihr habt an der vereisten Stange geleckt und seid angefroren. Erst zweihundert Jahre später tappt ihr in die grelle Helligkeit einer neuen, wunderbaren Welt – voller riesiger Kakerlaken, verdorrter Pflanzen und zerschundener Erde. Auf einmal kommt dieses vertraute, heimelige Gefühl hoch: Ach, sterbende Welt, was wurdest du vermisst!
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz der Rollenspiele, dass ihr als armer Schlucker mit einer mickrigen Waffe und kaum Rüstung beginnt und am Ende als junger Gott durch eine Welt voller niedriger Kreaturen watet. So auch in den Vorgängerspielen, deren Geschichte ihr hier nachlesen könnt: "Die Geschichte von Fallout: Das solltet ihr für Fallout 4 wissen".
Interessanterweise geht hier Fallout 4 einen anderen Weg. Innerhalb der ersten Stunde, besitzt ihr Unmengen an Ausrüstungsgegenständen: unter anderem eine Power-Rüstung und eine Minigun. Das bricht deutlich mit den vorherigen Teilen. Doch die Power-Rüstung ist nicht allmächtig. Ihr benutzt sie ähnlich wie ihr in anderen Spielen ein Auto oder etwas ähnliches gebraucht. Nicht nur, dass euer Charakter diesmal wirklich in die Rüstung einsteigen muss, sie verschlingt darüber hinaus Fusionskerne - und ohne diese ist sie schlicht schwer und klobig.
Trotzdem ist es als Fallout-Veteran etwas merkwürdig, schon am Anfang des Spiels eine Power-Rüstung in den Händen zu halten. In den anderen Teilen ist der Fund und das Anlegen im letzten Drittel des Spiel immer etwas Besonderes gewesen und hat den Beginn der Gott-Phase eingeleitet. Hier beraubt euch Fallout 4 anscheinend dieses Gefühls. Dafür schenkt euch der neue Teil auf der anderen Seite einen weiteren Rollenspiel-Aspekt, in dem ihr nicht nur an eurem Charakter herumbastelt, sondern auch an eurer geliebten Power-Rüstung. Denn erst am Ende ist sie so stark, dass ihr euch wie ein junger Weltenlenker aufführt. Also passt's dann irgendiwe doch.
Wanderer und Erkunder der Gegenden rund um Boston werden ob der Fülle einzelner Rüstungsgegenstände in Verzückung geraten. Beraubt ihr eine virtuelle Leiche ihrer Habseligkeiten, wandert nicht nur ein Harnisch, wie beispielsweise eine Kampfrüstung, in eure endlosen Taschen. Jedes Körperteil hat nun seine eigene Rüstung.
So tragt ihr zum Beispiel euren "Vault 111"-Strampler und drüber einen Brustschutz aus gekochtem Leder, das rechte Bein schützt eine Metallplatte, das linke ebenfalls Leder. Und auch der rechte und linke Arm sowie der Kopf wollen auf ähnliche Weise geschützt werden. Das lässt ganz neue Möglichkeiten zu und lässt euch darüber hinaus euren Charakter noch weiter individualisieren.
So verhält es sich auch mit der Power-Rüstung. Die besteht aus einem Rahmen, den ihr mit einzelnen Power-Rüstungsteilen bestückt. Alle Rüstungsteile – egal ob Leder- oder Power-Rüstung – haben eigene Werte und ihr könnt sie an Werkbänken herstellen, hart kochen, verfeinern und verbessern. So hat der Schrott, den ihr in der ganzen Welt findet endlich einen Sinn und ist nicht nur Beiwerk. Am Basteln und Handwerken selbst hätte Bethesda aber durchaus noch ein bisschen feilen können. Umständlich ist es mit den vielen Dingen, die ihr im Ödland findet, dann doch. Denn das Mikromanagement nimmt irgendwann überhand.
Aus fast jedem noch so kleinen Teil, das ihr in der der Umgebung von Boston findet, lässt sich ein Grundstoff gewinnen, den ihr wiederum in eure Rüstung oder Waffen verbaut. Denn eure Waffen wertet ihr so ebenfalls auf. Oder ihr baut mit dem vielen Holz und Stahl schlicht neue Häuser für Siedler und Kumpanen, die ihr auf dem Weg trefft. Ihr merkt schon, mit dem Handwerkssystem in Fallout 4 könnt ihr euch eine Ewigkeit beschäftigen.
Die wahre Stärke von Fallout 4 liegt in der Welt. Und damit ist wirklich die Welt gemeint, also Nord-Amerika in einer alternativen, postapokalyptischen Zeitlinie, die von unserer Grundverschieden ist, doch irgendwie auch so ähnlich.
Dadurch, dass es sich bei dieser Welt nicht um Planet Kermont-X3, auf dem vor zweihundert Jahren ein Atomkrieg gewütet hat, sondern um die Erde handelt, mit der Bibliothek in Boston und dem Pentagon in Washington, erkennt ihr in diesem irdischem Jammertal genügend wieder, damit die Unterschiede umso extremer hervorstechen. Neben den Geschichten, die Bethesda oder damals Interplay erzählt, füllt ihr die Lücken mit eurem eigenen Wissen. Und deshalb funktionieren die vielen kleinen Geschichten neben der eigentlichen Haupthandlung auch so gut.
Es sind diese kleinen Geschichten, die gerade Bethesda so stark umsetzt – siehe auch The Elder Scrolls 5 – Skyrim, The Elder Scrolls 4 - Oblivion und Fallout 3. Überall wo ihr im sogenannten Commonwealth herumlauft, findet ihr Pinselstriche, die zusammengesetzt ein großartiges Ölgemälde bilden.
Ein Beispiel? Bitte schön: Über eine Böschung gehüpft, liegt jäh eine kleine Hütte vor euren Augen. Sofort juckt der Erkundungsinstinkt. Statt weiter in Richtung Diamond City zu jagen, wie es die Haupthandlung verlangt, geht es erst einmal auf Abwegen. Waffe gezogen und einen vorsichtigen Schritt weiter … noch einen … und jählings springt eine vermeintliche Leiche auf und entpuppt sich als wilder Ghul, rennt auf euch zu und bringt seine Freunde mit. Die doppelläufige Schrotflinte klärt die Auseinandersetzung und befriedet die Gegend. Erwartungsvoll haltet ihr auf die Hütte zu, auf dem Bildschirm erscheint in grüner Schrift „Gorskis Hütte“.
Die Tür fliegt nach innen auf, ihr tretet ein und der wilde Ghul, der gerade noch auf der Matratze lag und vor sich hin döste, wird auch lebendig. Bumm – Ruhe. In der hinteren Ecke entdeckt ihr eine Falltür zum Wurzelkeller. Die führt in einem Tunnel zu einer abgeschlossenen Tür. Ein Radio dudelt vor sich hin. Ist die Tür geknackt und offen springt euch wieder ein Ghul an - doch nicht irgendeiner. Der Gute heißt Wayne Gorski und hat sich hier unten wohl eingeschlossen. Auch er entschwindet schrotgefüllt dieser Welt. Auf der Werkbank liegen Einzelteile einer Atombombe herum. Was hatte der nur vor? Ein Computer-Terminal hält die Antwort bereit: Mit 'elektrischen Türmen', also Elektromasten, will die Regierung die Gedanken der Einwohner lesen und das will er verhindern! Ein Verschwörungstheoretiker, der sich im Keller eine eigene Atombombe bastelt, wird am 23. Oktober 2077 von den Atombomben überrascht. Fantastisch!
Und wie gesagt – die ganze Welt von Fallout 4 steckt voll solcher kleinen Geschichten. Da ist es auch nicht verwunderlich, wenn ihr die Haupthandlung einmal vergesst. Dabei gestaltet die sich nicht uninteressant. Denn auf der Suche nach eurem kleinen Sohn mischt sich schon bald ein ominöses Institut ein und ein waschechter aber synthetischer Detektiv steht euch zur Seite. Aber stopp, hier soll nicht „gespoilert“ werden. Übrigens: Falls ihr das Spiel bereits zockt, steht euch die Komplettlösung zu Fallout 4 auf spieletipps zur Seite.
Schon die Trailer und vielen Bilder, die von der E3 und Gamescom 2015 herüberschwappten, zeigten Dogmeat. Bethesda legt anscheinend viel Wert auf den treuen Vierbeiner.
Den Schäferhund trefft ihr dann auch schon ganz am Anfang des Spiels. Schnüffelnd tapst er an einer verfallenen Tankstelle herum. Was der einsame Zeitgenosse hier wohl macht? Doch so einsam ist er ja nicht, denn schließlich nehmt ihr ihn in einer herzzerreißenden und emotionalen Zwischensequenz auf. Nein, eigentlich nicht. Dogmeat vertraut euch innerhalb von einer Sekunde. Das erscheint eher ziemlich praktisch und … hm, von den Entwicklern entwickelt und keineswegs natürlich.
Dafür ist der tierische Begleiter wirklich hilfreich, wenn es darum geht, Gegner abzulenken. Die Künstliche Intelligenz verschafft euch genügend Luft zum Handeln, denn der Hund springt immer auf den Feind zu. Auch wenn das ein Supermutant mit Minigun ist. Gewöhnt euch daran, Dogmeat öfters beleben zu müssen.
Ach ja: Viel zu oft läuft er euch zwischen den Füßen herum, während ihr etwas aufheben wollt. Statt an die neue Ausrüstung zu kommen, seid ihr auf einmal im Befehlsmenü gefangen. Doch dafür gibt es eine Lösung, denn wen das zu sehr stört, der nimmt den Kläffer schlichtweg nicht mit auf das Abenteuer Ödland. Ihr könnt dafür aus einer Reihe anderer Begleiter auswählen – oder einfach alleine durch das Ödland ziehen. Dafür gibt’s auch eine extra Fertigkeit, die das einsame Wandern ohne Begleiter ausgleicht.
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