Der einzige Unterschied ist diesmal, dass Yamauchi die Leitung der Hardware-Entwicklung nicht mehr dem internen Studio R&D 2 überlässt, sondern sie der R&D 3 anvertraut. Damit ist deren Chef Genyo Takeda hauptverantwortlich für das Produkt, aus dem schließlich das Nintendo 64 werden wird. Takeda ist heute der dienstälteste und neben Miyamoto der verdienstvollste Mitarbeiter Nintendos. Seit 44 Jahren ist er dabei.
Nicht nur die Hardware aller Heimkonsolen seit dem N64 verdanken die Spieler ihm. Takeda ist obendrein verantwortlich für Nintendos erstes Videospiel überhaupt: EVR Race von 1975. 40 Jahre später hielt er die vielgerühmte Trauerrede auf der Beerdigung des Ex-Nintendo-Führers Satoru Iwata und war dann einige Zeit selbst der aussichtsreichste Kandidat für den Chefposten.
Einen engagierteren und erfahreneren Mann als Takeda hätte Yamauchi also kaum nominieren können als Chefentwickler für jene Maschine, die beweisen soll, dass Nintendo nicht nur sehr wohl auf der Höhe der Zeit, sondern ihr sogar ein gutes Stück voraus ist. Aber die Zeit vergeht.
Was gestern noch als futuristisch galt, ist heute Standard. Morgen schon wird kein Hahn mehr danach krähen – doch Nintendo kommt einfach nicht zu Potte. Die Öffentlichkeit hat noch kein einziges Polygon gesehen von SGIs vermeintlich so zukunftsweisendem Chip. Oder den Prozessor oder beides – so genau weiß das selbst 1994 noch keiner, denn Nintendo hält sich bedeckt.
Selbst das ist noch geschönt. Genau gesagt lässt die Firma etwa ein Dreivierteljahr lang nach Yamauchis erster Ankündigung kein Sterbenswort mehr übers Project Reality verlauten.
Die Spielergemeinde wird unruhig und nicht zuletzt natürlich auch die potenziellen Drittentwickler. Was ist da los in dem Konzern, der noch vor weniger als einem Jahrzehnt mit dem NES im Alleingang den weltweiten Videospielmarkt vor der Monopolstellung des Heimcomputers bewahrt und somit das Leben gerettet hat?
Die Skepsis weicht im Mai 1994 Empörung, als Nintendos Pressesprecher bekanntgeben, dass das Project Reality nicht etwa CD-ROMs als Datenträger für die Spieler nutzen werde, sondern schlichte Plastikmodule (Cartridges).
In allem, was bisher von Project Reality bekannt war, wehte bis dahin der Hauch des Ätherischen. Das Gerät schien sagenhaft, mindestens wie eine Zeitmaschine. Und nun frisst es hartes Plastik? Den Inbegriff rückwärtsgewandter Angepasstheit? Wie wär’s vielleicht noch mit Lochkarten und Zahnrädern?
Das Kosten-Nutzen-Verhältnis (hinsichtlich Speicherkapazität) liegt bei CD-ROMs um den Faktor 1.000 über dem von althergebrachten Modulen. Diese beeindruckende Zahl gibt der zugehörige Aufschrei von Seiten der Fachpresse ganz gut wieder. Wie kann Nintendo nur? Ist die Geschäftsleitung denn nicht bei Trost?
Die Rechtfertigung klingt zunächst reichlich dünn, doch hat Nintendo nicht ganz unrecht. Fragt man die Spieler in reiferem Alter heute nach ihren Erinnerungen an die Playstation, fallen die Ladezeiten ganz klar in die Rubrik der Wermutstropfen. CD-ROMs in den Speicher zu lesen dauert seine Zeit, nicht so bei den Spielmodulen. Nintendos verständlicher Feldzug gegen illegale Kopien ihres geistigen Eigentums hat Takedas Team ebenfalls bewogen zu den viel schwerer zu fälschenden Modulen.
Diese Argumente zünden bei den Geschäftspartner wenig. Ladezeiten sind ein Kavaliersdelikt, wenn man grafisch und akustisch aufwändige Zwischensequenzen für seine Spiele einplant, wie eben beispielsweise Square es sich für die neue Konsolengeneration vorgenommen hat. Daran scheitern die Module.
Folglich wenden sich viele der bislang wichtigsten Drittentwickler von Nintendo ab – schon bevor das Project Reality überhaupt aus seinem Kokon beharrlichen Schweigens gekrochen kommt.
Und allmählich wird die Geheimniskrämerei etwas albern. Einen Monat nach dem Schock mit den Modulen ändert Nintendo den Namen seiner ominösen Problemschwangerschaft: Aus Project Reality wird das schon eine Idee bescheidener klingende Ultra 64.
Aber noch immer hat kein Mensch von außerhalb des engsten Entwicklerzirkels bei R&D 3 die Maschine gesehen. Zwar werben SGI und Nintendo mit höchst ansehnlichen Videos, die die Muskeln des MIPS-Chips spielen lassen, aber irgendwie macht sich Nintendo damit nur noch verdächtiger – als wollten sie von internen Problemen ablenken und das ungeduldige Publikum notdürftig ruhigstellen.
Eines der Probleme – so erfahren Jahre später auch Nichteingeweihte – ist der Controller. Über 100 Prototypen sollen durch die Hände der Ingenieure gegangen sein. Mario-Papa Shigeru Miyamoto redet dabei das eine oder andere Wörtchen mit, steckt er doch bis über beide Ohren in der Arbeit an Super Mario 64, dem Spiel, das alle verprellten Nintendo-Begeisterten mit einem Schlag wieder versöhnen soll.
Es ist zwar ein Gerücht, dass die Dreizackform des Controllers und sein Analogstick mit den stufenlos regulierbaren Bewegungskommandos eigens an Marios erste 3D-Eskapade angepasst wurden, aber gleichwohl muss natürlich gerade in einem so entscheidenden Prestigeprojekt wie Super Mario 64 alles stimmen, ja vom Feinsten sein. Es soll schließlich zeitgleich mit der Konsole erscheinen soll. An einem verbesserungswürdigen Controller darf es nicht scheitern.
Bevor der Controller fertige ist und bevor Nintendo auch das Innenleben der Konsole als Entwickler-Kit herausgibt, schlagen die Studios sich wohl oder übel mit emulierter N64-Hardware herum, geliefert von Hochleistungsrechnern, die locker das Tausendfache des Nintendo-Geräts kosten.
Auch die eigenen Leute rund um Super Mario 64 sind lange Zeit gezwungen, Mario mit einer Computertastatur zu steuern. Kann man auf diese Weise ein Gespür dafür bekommen, ob sich das fertige Spiel gut anfühlen wird oder nicht? Es ist auf jeden Fall nicht ideal.
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