Gerüchteweise heißt es, dass die Veröffentlichung mittlerweile nur an Super Mario 64 scheitere. Klempnervormund Miyamoto habe sich in aufopferungsvolle Übernächtigung hineingesteigert, und sein selbstloser Hang zum Perfektionismus, verbunden mit seinem fast besorgniserregend übersteigerten Verantwortungsgefühl den Spielern gegenüber, verbiete es ihm, die Jagd nach den 120 Power-Sternen vorzeitig zu eröffnen.
Die Wirklichkeit sieht weniger romantisch, dafür ökonomischer aus. Dass das N64 in Japan erst am 23. Juni 1996 in den Handel kommt, liegt schlicht an Lieferschwierigkeiten wichtiger Halbleiter-Hersteller.
Drei Spiele begleiten das N64 an diesem ersten Tag in die japanischen Kaufhäuser: Super Mario 64, die Flugsimulation Pilotwings 64 und, nun ja, dann natürlich auch noch das mit Recht so beharrlich vergessene Saikyo Habu Shogi, die Umsetzung einer japanischen Schachvariante. Nur jeder hundertste N64-Käufer sichert sich auch ein Exemplar von Saikyo Habu Shogi. Jede Epiliersimulation wäre vermutlich angemessener gewesen für die Eröffnung von Nintendos 3D-Zeitalter. Aber sei's drum.
In Nordamerika sind gar nur Mario 64 und Pilotwings 64 zum Start Ende September verfügbar. Trotzdem ist der Verkaufserfolg gewaltig, berauschender noch als zu NES- und SNES-Zeiten. In den amerikanischen Großstädten herrscht eine Stimmung, als wäre der Heiland zurückgekehrt (wenn auch noch ohne Rumble Pak).
Beleidigte oder zumindest reservierte Kunden? Keine Spur. Amerika ist so wild auf das N64, dass Kyoto den ebenfalls für 1996 geplanten Europatermin nochmals verschiebt. Für Europa vorgesehene Geräte sollen lieber den Weg über den Pazifik gehen, um die Nachfrage der amerikanischen Kunden auszuschöpfen. Erst am 1. März 1997 befreit das Nintendo 64 auch hierzulande die Spiele aus ihrer flachen Welt, wie es im deutschen Werbefernsehen heißt. Wie leicht hätte Nintendos Verzögerungspolitik das Gegenteil bewirken können.
Doch statt die Warterei übelzunehmen, ist bei den meisten Leuten nur die Sehnsucht gewachsen – in erster Linie sicherlich die Sehnsucht ganz speziell nach Mario in 3D. Noch heute verweisen Videospieltheoretiker auf Super Mario 64, wenn sie die Grundregeln eines dreidimensionalen Hüpfspiels erläutern (so wie sie auf Super Mario Bros. verweisen, wenn es um 2D geht). Kaum noch erwähnenswert, dass das Spiel mit elf Millionen verkauften Modulen der erfolgreichste der knapp 400 N64-Spiele ist.
400 klingt nach viel, doch keine Spielebibliothek für Nintendos Konsolen ist kleiner (selbstredend abgesehen vom glücklosen Virtual Boy mit seinen 22 Sünden, pardon, Spielen).
Die erste Playstation übertrifft seinen technisch überlegenen Konkurrenten in dieser Hinsicht um das Achtfache. Wie viele Spiele eine Konsole hervorbringt, ist ein akkurater Messfühler für den Erfolg der Konsole selbst, denn warum Geld in die Entwicklung von etwas stecken, das ein unrentables Gerät bedient?
Anders als bei NES und SNES mit ihren mehreren kleinen Höhepunkten in ihrer langen Lebensdauer (weltweit gesehen versorgt Nintendo das NES zwölf Jahre lang mit Spielenachschub, das SNES zehn Jahre) und den patenten Mini-Verbesserungen, die den Konsolen einen zweiten Frühling bescherten, geht es beim N64 ab dem ersten Tag wieder bergab. Super Mario 64 als erstes Spiel bleibt der Höhepunkt.
Eine Ausnahme von dieser Regel ist Zelda - Ocarina of Time. Laut internationaler Durchschnittsbewertung handelt es sich bei Links fünftem Abenteuer tatsächlich um das beste Videospiel aller Zeiten. Wie paradox, dass es ausgerechnet zwischen lauter Belanglosigkeiten im Spielekatalog steht.
Nur wenige heute noch geläufige Serien feiern auf dem N64 ihr Debüt, darunter Mario Party, Mario Golf, Super Smash Bros., Paper Mario, Banjo-Kazooie und Animal Crossing. Dabei sind die Spiele am N64 keineswegs ein genereller Reinfall, sondern gehören zur Klasse dessen, was man so schön, aber auch so vernichtend, Mittelmaß nennt.
Mittelmaß für das erfolgsverwöhnte Nintendo, aber dennoch: Der Abstieg vom NES (62 Millionen verkaufte Konsolen) über das SNES (49 Millionen) zum N64 (33 Millionen) ist nicht kleinzureden. Mittelmaß ist in der Geschäftswelt verheerend, kaum besser als ein kommerzieller Ausfall, wie es aktuell die Wii U zu werden scheit.
Hinzu kommt die Relation zu Sony, das gleich von seinem ersten unerfahrenen Konsolenversuch mehr als 100 Millionen Stück absetzt – eine Demütigung für Yamauchi. Nur gut, dass er noch nicht weiß, dass die unterste Stufe dieses Abwärtstrends noch gar nicht erreicht ist. Das Ungleichgewicht zwischen den beiden Kontrahenten schlägt später im Kampf Gamecube gegen Playstation 2 noch viel härter aus.
Die Lebensgeschichte des N64 ist dennoch frei von auffälligen Tälern. Sie plätschert so vor sich hin. Für Drittentwickler wird sie zusehends uninteressant. Das hat nicht nur mit den Verkaufszahlen zu tun, sondern auch mit dem sperrigen Entwicklungsprozess für das N64.
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