Pokémon Go

Datenschutz ausgehebelt: Stoßen die Downloads von Pokémon Go und Prisma das Tor zur Hölle auf? (Kolumne)

von Deinjo (Dienstag, 12.07.2016 - 17:32 Uhr)

Die Meldungen überschlagen sich. Die Macher von Pokémon Go arbeiten mit der NSA zusammen und die iOS-App Prisma verkauft eure Fotos an Pornoseiten. Was geht? Onkel Jo klärt die Fronten.

Ein mit der iOS-App Prisma bearbeitetes Bild von Onkel Jo. Auch Prisma darf dieses Foto nun nutzen.
Ein mit der iOS-App Prisma bearbeitetes Bild von Onkel Jo. Auch Prisma darf dieses Foto nun nutzen.

Als ich das erste Mal das Wort hörte, dachte ich, jemand hätte mir eine Beleidigung an den Kopf geworfen. "POKÉMONGO!! Der hat wohl seine Pokken-Impfung nicht vertragen. So nicht!

Ich habe zum Glück ausnahmsweise nicht so fest zugeschlagen, schließlich meinte der Kollege im Endeffekt bloß ein neues Spiel. Seit Tagen spricht plötzlich niemand mehr über etwas anderes: Pokémon Go hier, Pokémon Go da. Es scheint, als hätte die Welt nach versiebter Fußball-EM, Brexit, Donald Trump und Flüchtlingswelle nur auf dieses Thema gewartet.

Pokémon Go - Die Welt nach Pokémon abgrasen

Pokémon Go - Die Welt nach Pokémon abgrasen
Pokémon Go - Die Welt nach Pokémon abgrasen
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Dabei ist das Sammelspiel noch nicht einmal offiziell in unseren Breitengraden erschienen. Nur mit Tricks lässt sich PGO hierzulande bisher installieren. Die Idee ist aber auch zu gut: Pokémon-Wesen fangen in der echten Welt mit Hilfe von Smartphone-Ortung (GPS) und erweiterter Realität (Augmented Reality, AR). Das ist die nächste Stufe des altehrwürdigen Game-Boy-Spiels.

Dieses Video zu Pokémon Go schon gesehen?
Feldforschung und Spezialforschung im Trailer

Nach 20 Jahren Pokémon scheinen Nintendo und Entwickler Niantic Labs mit Glurak, Dodu, Relaxo & Co das Internet besiegt zu haben. Zum ersten Mal seit Google es mitschneidet, wurde ein Begriff öfter gesucht als "Porn". Halleluja.

Selbst Nachrichtensender N24 berichtet im Fernsehen über Pokémon Go. Das Experten-Pokémon rechts heißt Kristin und arbeitet bei GIGA GAMES.
Selbst Nachrichtensender N24 berichtet im Fernsehen über Pokémon Go. Das Experten-Pokémon rechts heißt Kristin und arbeitet bei GIGA GAMES.

Mittlerweile rotten sich nachts statt Punks schon Horden voller Nerds zusammen, die im fahlen Schein ihres Smartphones durch den Park schleichen und Pokébälle auswerfen. Wer gerade mitreden will, braucht Pokémon Go. Oder zumindest fundiertes Halbwissen darüber. Klar, dass bei dem Bekanntheitsgrad die ersten skurilen Meldungen nicht auf sich warten lassen:

  • Pokémon Go: App in den Vereinigten Staaten für Raubüberfälle missbraucht
  • Pokémon Go: Achtung, Trojaner! Infizierte Version im Umlauf
  • Pokémon Go: Taschenmonster auf der Toilette sammeln
  • Pokémon Go: Frau will Pokémon fangen und findet eine Leiche

Doch eine Meldung sollte nachdenklich stimmen: "Pokémon Go erhält vollen Zugriff auf die Google-Daten des Nutzers". Moment ...

Vollen Zugriff auf Google-Konto

Vollen Zugriff auf mein Google-Konto? WTF!!! Einigen Nutzern scheint eben das passiert zu sein. Was genau heißt das? Können die Macher von Pokémon Go alle meine Google Docs einsehen, meine Suchanfragen durchstöbern, meine E-Mails lesen und nachschauen, wofür ich mich bei Google Maps interessiere? Das ist mehr als ich meiner Freundin erlaube. Es ist eine Unverschämtheit!

Jetzt dürft ihr zum Spielen wieder vor die Tür. Hier wartet ein Lapras-Pokémon darauf, dass ihr dagegen kämpft.
Jetzt dürft ihr zum Spielen wieder vor die Tür. Hier wartet ein Lapras-Pokémon darauf, dass ihr dagegen kämpft.

Inzwischen hat Niantic eine Erklärung abgegeben, in der sie einen Fehler einräumen:

"Wir haben kürzlich herausgefunden, dass die Profilerstellung in Pokémon Go auf iOS fälschlicherweise einen vollen Zugriff auf das Nutzerkonto von Google anfordert. Pokémon Go greift nur auf die Basisinformationen des Google-Profils zu (genauer: Nutzer-ID und Mail-Adresse). Weitere Informationen werden weder abgerufen noch gesammelt. (...)"

Es werde schon an einer Lösung gearbeitet, die Zugriffserlaubnis wieder herunterzufahren.

Ein Fehler also. Kann sein, muss aber nicht. Würde Niantic hier so schnell nachbessern, wenn das nicht publik geworden wäre? Es heißt ja auch nicht, dass die Firma die Daten böswillig nutzt, aber weshalb müssen sie überhaupt erhoben werden? Oft ist das keineswegs klar. Da gibt es genügend Beispiele. Die Apps sind jedenfalls nur auf den ersten Blick kostenfrei.

Jedes Free to Play-Spiel erkauft ihr euch mit persönlichen Daten. Die werden im Idealfall nur für das Spiel erhoben, im weniger guten Fall für gezielte Werbung und in schlechten Fällen für Dritte. Die dürfen damit Dinge machen, die euch in euren Albträumen nicht einfallen würden. Werden Daten oder gar die ganze Firma weiterverkauft, schert es den neuen Besitzer oft herzlich wenig, dass sein Vorgänger es ursprünglich "nur gut gemeint hat". Dieser Datenhunger ist meist unnötig und ethisch kaum vertretbar. In der Regel erfahrt ihr nicht mal mehr, was weiter mit euren Angaben und Inhalten passiert.

Trotzdem ist mir klar, dass Pokémon Go einige persönliche Daten benötigt. Ohne Zugriff auf meinen Standort etwa funktioniert das Spiel einfach nicht. Das ist in Ordnung. Aber der Datenhunger sollte in Maßen bleiben.

Auch eine weitere Anwendung für iOS sorgt aktuell für Redebedarf. Prisma heißt das gute Stück. Dort lassen sich Fotos mit äußert coolen, künstlerischen Filtern versehen. Ratzfatz sieht ein Foto dadurch aus wie ein alter Meister (siehe Bild ganz oben). Dafür ladet ihr eure Fotos per Smartphone auf externen Servern hoch, wo Prisma sie bearbeitet. Doch die Privatsphäre-Regeln des Anbieters sind bedenklich. Dort heißt es etwa „Informationen können gespeichert und weiterverarbeitet werden“ und ihr gewährt Prisma „nicht-exklusive, weltweite, weiter veräußerbare“ Nutzungsrechte an den dort bearbeiteten Fotos. Die fremden Menschen dürfen also praktisch mit euren Fotos machen, was sie wollen. An Prisma hat sich meinen Informationen nach übrigens bereits My.com beteiligt, die zum Imperium des russischen Konzerns Mail.ru gehören.

Spionage durch Dummheit

Wer genau sammelt hier welche Daten und wofür? Wisst ihr es? Ich nicht. Es ist daher auch völlig richtig, die Funktionen zu hinterfragen. Bei Prisma nutze ich sicher keine Fotos, von denen ich nicht möchte, dass sie bestimmte Personen sehen. Kritsch bleiben und aufpassen heißt generell die Devise bei aller Liebe. Auch weiterhin bei Pokémon Go.

Die Geschäftsbedingungen von Prisma räumen den Verantwortlichen weitreichende Rechte ein.
Die Geschäftsbedingungen von Prisma räumen den Verantwortlichen weitreichende Rechte ein.

Denn völlig ungeklärt ist trotz Google-Fehler weiterhin, weshalb die Datenschutzerklärung von Pokémon Go explizit eine großzügige Datenweitergabe der Nutzerdaten erlaubt. Muss das sein? Warum? Nur weil sich das andere Apps auch herausnehmen? Werden hier meine Daten gehandelt, um mit ihnen noch Geld nebenher zu verdienen? Wir sollten bei solchen Freigaben kritisch bleiben und nicht alles ungefragt schlucken. Das ist auch kein Mimimi, das ist wichtig. Es geht hier um gesellschaftliche Errungenschaften für die Generationen von Menschen gekämpft haben. Das aus Bequemlichkeit aufzugeben, wäre fatal. Denn irgendwann fällt es uns an einer anderen Stelle auf die Füße.

Das heißt nicht, dass ihr Aps wie Prisma oder Pokémon Go nicht verwenden dürft, jedoch betrachtet sie nicht als Freunde, sondern als Instrumente. Denkt auch mal an die Kinder, die Pokémon Go nutzen. Mit zwölf interessiert sie der Kram noch nicht, den sie im Internet verzapfen. Aber ich erinnere mich an verzweifelte Bettel-Mails, die mich erreicht haben, ob ich nicht gewisse Inhalte von gewissen Internetseiten löschen könnte, weil sie jetzt bei Bewerbungen um Jobs plötzlich negativ auffallen. Klar, mache ich, weil ich nett bin. Manchmal. Aber einer großen Firma ist das egal. Die lesen nicht mal die entsprechende Mail. Für Pokémon Go etwa bedeutet das, meldet euch wenigstens nicht mit eurem allgemeinen Google-Profil an, sondern erstellt ein Konto im Pokémon Trainer Club.

Nur weil ein Spiel cool ist, sollte man nicht sein Gehirn beim Login abgeben. Da widersprechen immer noch monatlich ein paar Trottel mit unwirksamen Erklärungen den Nutzungsbedingungen von Facebook, laden aber unbesehen eine inoffizielle Version von Pokémon Go herunter, die von Dritten noch mit Schad-Software versehen wurde. Wie dumm kann man sein, bevor es weh tut? Seid nicht gierig. Manchmal ist es auch in Ordnung, mal zu verzichten. Langsam machen. Innehalten. Nachdenken. Tut gar nicht weh.

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