von Micky Auer (Montag, 20.03.2017 - 15:06 Uhr)
Verdammt große Fußstapfen hat er hinterlassen, der gute Commander Shepard. Zu groß für Sara und Scott Ryder? Mass Effect - Andromeda startet in eine neue Galaxie - und strandet streckenweise irgendwo im dunklen Raum.
Schon im Vorfeld ergeht es Mass Effect - Andromeda von Entwickler Bioware ähnlich wie der Andromeda-Initiative im Spiel: Nach einer langen Reise scheint die Mission zum Scheitern verurteilt zu sein. Zumindest auf den ersten Blick. Flache Dialoge und unfreiwillig komische Animationen sorgen für allerlei Spott und Hohn im Internet. Internationale Testwertungen zeichnen keine rosige Perspektive für das von vielen so heiß ersehnte Spiel.
Gleich vorab: Die genannten Kritikpunkte sind berechtigt. Wo ist Andromeda falsch abgebogen? Und ist das ganze Geschrei nicht doch vielleicht zu einem großen Teil nur Hysterie seitens klassicher Fan-Boys und -Girls? Zu einem Teil, gewiss. Doch lässt es sich nicht verleugnen, dass das durchaus große Abenteuer der Geschwister Ryder an Dingen krankt, die nach drei erfolgreichen Teilen mittlerweile ausgemerzt sein sollten. Dummerweise sind gerade jene Schwachpunkte aus der Vergangenheit zu tragenden Elementen der Gegenwart geworden.
Ein so ambitioniertes Projekt mit einem gewaltigen Entwicklungsbudget, noch dazu als Nachfolger einer der wichtigsten Spieleserien der vergangenen zehn Jahre (Kontroverse um das Ende hin oder her) hat klarerweise alle Augen auf sich gerichtet. Eine treue Fan-Gemeinde setzt große Erwartungen voraus. Diese zu erfüllen, ist keinesfalls ein leichtes Unterfangen. Selbst kleine Fehler werden da gerne mal harscher Kritik ausgesetzt. Große, offensichtliche Mängel im Design sorgen entsprechenderweise für noch größeren Unmut.
Davon, dass sich Commander Shepard in unserer Milchstraße mit den Reapers herumschlägt, kriegt die menschliche Besatzung der Arche Hyperion nichts mit. Sie befindet sich im Kälteschlaf. Gemeinsam mit anderen Archen, auf denen sich Kolonisten aus der Völkern der Salarianer, Turianer und Asari befinden, wird die Reise in die weit entfernte Andromeda-Galaxie angetreten. 600 Jahre später erreicht die Hyperion ihr Ziel und es zeigt sich, dass die versprochenen "Goldenen Welten", die besiedelt werden sollten, lebensfeindliche Planeten sind, die eine Besiedelung nicht möglich machen.
Ohne zu spoilern: Nach einer Verkettung dramatischer Umstände findet sich wahlweise die junge Sara oder ihr Bruder Scott Ryder (die Wahl bleibt euch überlassen) plötzlich in der Rolle des Pathfinders wieder. Zusammen mit einem Team ausgewählter Spezialisten ist es die Aufgabe des Pathfinders, nach tatsächlichen Goldenen Welten zu suchen, ihre Bewohnbarkeit zu verifizieren, Außenposten zu errichten und generell dafür zu sorgen, dass die Siedler, die 600 Jahre lang in die Fremde gereist sind, ein neues Zuhause finden. Denn ein Zurück gibt es nicht mehr.
Der erste Kontakt mit den Bewohnern von Andromeda geht bereits in die Hose. Die Kett sind es, die fortan als Hauptwidersacher herhalten müssen. Ihre Ziele sind zunächst undurchschaubar, doch dreht sich alles um gigantische Maschinen, die von einer unbekannten Zivilisation auf mehreren Planeten errichtet wurden.
Da ein Feindbild nicht reicht, gibt es noch alle möglichen politischen Zwistigkeiten, Aufstände, Abtrünnige und Machtkämpfe, auch in den eigenen Reihen. Basis des Pathfinders ist der Nexus, eine gigantische Raumstation, auf der ebenso wenig funktioniert wie in allen anderen Vorhaben der Andromeda-Initiative. Es wird Zeit, aufzuräumen. Euch zur Seite stehen sechs Frontkämpfer verschiedener Herkunft. Hier zeigt sich das erste große Problem von Mass Effect - Andromeda: Diese zentralen Figuren fallen eindimensional und wenig einprägsam aus.
Der Standard der Vorarbeit, die in der "Mass Effect"-Trilogie geleistet wurde, wird hier nicht gehalten. Einprägsame Figuren, unter denen es selbst zwei Künstliche Intelligenzen (die Rede ist von EDI und Legion) geschafft haben, sich so zu entwickeln, dass sie den Spielern ans Herz wachsen, stellen eine gewaltige Vorlage dar. Der neue Trupp glänzt wie immer durch Diversität, spezielle Fähigkeiten und eigene Hintergrundgeschichten. Keine davon ist jedoch so interessant, dass der Spieler/Leser große Lust verspürt, sich darauf einzulassen.
Es entsteht kein Gefühl der Verbundenheit. Die Austauschbarkeit der Hautpfiguren lässt nicht zu, dass ihr eine Verbindung mit ihnen eingeht. Hier gilt: Kroganer = Draufhauen, Turianer = listenreich, Asari = intelligent. Die menschlichen Spielfiguren sind tatsächlich noch etwas flacher geraten, was sich vor allem in den ausladenden Dialogen zeigt. Eine der tragenden Säulen eines Rollenspiels sind die Charaktere. Diese Säule ist zwar vorhanden, vermag es aber nicht, die nötige Tragfähigkeit mitzubringen.
Werfen wir einen Blick auf die grundlegenden Spielmechaniken, nämlich Rollenspiel, Kampf und Erkundung. Speziell das Schlagwort "Erkundung" stand von Anfang an in der Werbekampagne an vorderster Front. Es entspricht auch dem Pioniergeist, den Mass Effect - Andromeda vermitteln will. Schließlich brecht ihr in eine gänzlich unbekannte Galaxie auf, um dort Lebensräume für Bewohner der Milchstraße zu schaffen.
Die Erkundung beschränkt sich auf eine Handvoll Welten, die von heimischer Fauna und den widerborstigen Kett bewohnt respektive heimgesucht werden. Im Spielverlauf ergeben sich allerlei Nebenmissionen, deren Kern aber grundsätzlich aus "finde dies" und "töte jenes" besteht. Die Suche selbst gestaltet sich uninteressant, denn die Ziele werden auf der Karte angezeigt. Dort angekommen, informiert euch eure KI, dass ihr was gefunden habt und was als nächstes auf dem Plan steht. Gähn ...
Hauptinstrument eurer Forschungsarbeit ist ein Scanner, mit dem ihr auf Knopfdruck die Welt nach interessanten Informationen absucht. Diese Infoflut schlägt sich in Punkten nieder, die ihr in die Forschung und Entwicklung neuer Ausrüstung investieren könnt, die nötigen Rohstoffe vorausgesetzt. Ihr werdet euch schnell dabei ertappen, alle paar Schritte stehenzubleiben und den Scanner zu aktivieren, da ihr eventuell befürchtet, etwas Wichtiges zu übersehen. Das unterbricht den Spielfluss, stört die Dynamik und ist auf Dauer schlicht und ergreifend mühselig.
Scannen in einem "Mass Effect"-Spiel hat noch nie Spaß gemacht. Erinnert euch nur mal an die langweilige und mühselige Planeten-Scannerei in Mass Effect 2. Glücklicherweise wurde diese Funktion verschlankt, unglücklicherweise aber auch an anderer Stelle erweitert. Planeten scant ihr vom jeweiligen Orbit aus. Sollte sich dort was Interessantes befinden, ist dies meist nur ein Punkt. Das beschleunigt und vereinfacht die Sache. Direkt auf einer neuen Welt hingegen ... Nun ja, er ist wieder da: Der Nomad.
Jenes geländegängige Gefährt, dass ihr schon in Mass Effect steuern konntet. Damals war es öfter mal ein Krampf, das Vehikel zielführend über unwegsames Gelände zu steuern. Und siehe da: Es ist immer noch ein Krampf. Die Steuerung war schon seit jeher so legendär schlecht, dass die Entwickler selbst in späteren "Mass Effect"-Spielen Witze darüber gerissen haben. Nun, da scheint wohl ein neues Team am Start zu sein ...
Hinzu kommt, dass ihr den Nomad für mehrere wichtige Funktionen zwingend benötigt: Er überwindet schnell große Distanzen - sofern ihr euch in eher offenem Gelände bewegt, er bietet Schutz vor feindlichen Umwelteinflüssen und ihr braucht ihn, um per Bordcomputer nach Rohstoffen zu suchen. Ihr ruckelt und zuckelt in oft engen Bereichen mit dem sperrigen Karren umher, bis ihr einen hohen Ausschlag für einen Rohstoff erkennt. Dann setzt ihr eine Minen-Drohne ab, der Rest erfolgt automatisch. Zusammengefasst bedeutet das: Ihr spielt "Heiß und Kalt" mit etwas, dass sich steuert wie eine schwangere Kuh auf dem Eis und auch gerne mal in der Grafik hängen bleibt. Wer auch immer dachte, dass das unterhaltsam sei, hat eine seltsame Vorstellung von Spaß.
Zumindest sind die Welten, die ihr erforschen dürft, durchaus ansehnlich gestaltet. Ihr braucht nicht viel Vorstellungskraft, um euch in diese Fremdnis hineinzuversetzen. Allerdings gelang es schon Mass Effect 2 mit bescheideneren Mitteln ein wesentlich stimmigeres, atmosphärischeres und vor allem authentischeres Gesamtbild zu vermitteln.
Das actionlastige Kampfgeschehen in Mass Effect - Andromeda ist - sagen wir mal: vollkommen in Ordnung. Widersacher erledigt ihr mithilfe einer großen Auswahl an Waffen und besonderen Fähigkeiten, die alle Situationen zufriedenstellend abdecken und viel Spielraum für Experimente lassen.
Kämpfe finden wie gewohnt in Echtzeit statt. Hauptfigur plus zwei Team-Mitglieder bilden das jeweilige Einsatzteam. Wechsel von Mitgliedern sowie Ausrüstung erfolgt jedoch nur an bestimmten Punkten. Im Kampf könnt ihr nur mitgeführte Waffen und Profile wechseln. Aber was genau ist eigentlich so ein Profil?
Ryder hat als einzige Spielfigur die Möglichkeit, alle Fähigkeiten, die im Spiel zur Verfügung stehen, zu erlernen und anzuwenden. Eure KI fasst bestimmte Fähigkeiten zu Profilen zusammen, die euch jeweils starke Boni verleihen. Diese Profile könnt ihr auch im Kampf wechseln, um euch jeder Situation anzupassen.
Aus den zahlreichen aktiven Fähigkeiten könnt ihr jedoch nur jeweils drei mit in die Schlacht nehmen. Wählt also weise, worauf ihr euch verlassen wollt. Auch bedingt das Gewicht eurer Waffen, wie schnell sich Fähigkeiten wieder aufladen. Auch hier solltet ihr mit Bedacht vorgehen und nicht zum waffenstarrenden Packesel werden. Die gewünschte Balance wählt ihr hier selber. Wichtig für Waffen, Rüstungen und Modifikationen sind Forschungsstationen. Dort investiert ihr, wie bereits erwähnt, Forschungspunkte in die Entwicklung neuer Waffen. Mit unterwegs gesammelten Rohstoffen steht euch so ein erstaunlich großes Auswahlfeld neuer Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung. Alternativ könnt ihr euer Geld natürlich auch in die zahlreichen Läden im Spiel investieren und Standardausrüstung erstehen.
Die Gefechte selbst sind actionreich, machen mit etwas Übung Spaß und bieten durchaus eine gewisse Rafinesse, die sich im Spielverlauf weiter erschließt. Unnötig ist jedoch die Möglichkeit, eure Kampfgefährten an bestimmte Positionen zu schicken. So etwas ist vielleicht vor einem Kampf sinnvoll, wenn ihr genau wisst, woher die Gegner kommen. Das ist in der Regel jedoch selten bis nie der Fall. Außerdem dauert es nur Sekunden, bis die zugewiesenen Positionen wieder verlassen werden. Kann man - muss nicht.
Es gibt auch Mehrspieler-Missionen, die besondere Belohnungen wie Geld und Rohstoffe bieten. Wenn ihr aber keinen Bock darauf habt, euch mit anderen Spielern online in die Schlacht zu stürzen, könnt ihr die Missionen auch einem automatischen Strike Team anvertrauen, dass - je nach dessen Level - die Aufträge nach einer gewissen Zeit erfüllt oder dabei versagt. Schön, dass ihr hier nicht zum Online-Spiel gezwungen werdet. Wer es dennoch wagt: Die Multiplayer-Komponente entspricht in ihrer Qualität in etwa der, die es in Mass Effect 3 gibt. Ergo: Ordentliche Missionen mit guter Technik, die durchaus Spaß machen. Der Punkt ist auf jeden Fall gelungen.
Lobend erwähnt sei die automatische Deckungsmechanik und der Wechsel der Schulterperspektive. Das läuft rund und unterstützt jeden Spielstil. Noch lobender erwähnt sei eine Neuerung, nämlich ein Jet-Pack, das hohe Sprünge und schnelle Ausweichmanöver erlaubt. Während der Erkundungsphasen erreicht ihr damit ansonsten unzugängliche Bereiche, im Kampf ermöglicht es euch flinke Ausweichmanöver und Überraschungsangriffe von oben. Diese eindeutige Neuerung funktioniert in allen Bereichen. Selbst ungewollte Stürze in endlose Abgründe bestraft das Spiel nicht.
Die Fragen müssen erlaubt sein: Warum, oh Bioware, warum sehen NPCs im Spiel aus, als wären sie zu heiß gewaschen worden? Warum haben die Hautpfiguren ein Grinsen im Gesicht, das sie in jedem Cartoon-Universum zu Hause sein lässt? Warum sehen hauptsächlich Menschen so aus, als würden sie sich morgens mit Speckschwarten einreiben? Warum sind Augen in einem ansonsten auf Realitätsnähe getrimmten Gesicht so groß wie bei einem Anime-Charakter? Warum ist die Mimik mal Botox-gelähmt, mal von nervösen Zuckungen gezeichnet? Warum?
Die Antwort auf diese Fragen werden wir wohl nicht erhalten. Klar ist, dass dies kein technischer, sondern ein Design-Mangel ist. Die Hauptfiguren sind deutlich liebevoller gestaltet als die NPCs, jedoch fällt auf, dass zum Beispiel die Ryders gerne mal wie eine gruselige Bauchrednerpuppe rüberkommen. Der Charakter-Editor in den "Mass Effect"-Spielen war noch nie ein gutes Werkzeug. Warum Bioware für die Gestaltung generischer Figuren immer noch darauf zurückgreift, ist ein Rätsel. Bei weiblichen Figuren erhält man den Eindruck, als würden sie morgens mit der Schminkflinte hantieren. Haare sind bei beiden Geschlechtern nichts anderes als Plastikhelme.
Bedenkt bitte Folgendes: Bioware ist ein renommierter Entwickler, mit EA steht ein großer Geldgeber im Hintergrund. Da sind solche Ausrutscher nicht so leicht verzeihlich wie in einer Indie-Produktion. Ihr bezahlt den Vollpreis für digitale Unterhaltung und erwartet berechtigterweise auch ein Niveau, das der aktuellen Hardware-Generation entspricht.
(Quelle: Youtube, Phoenix Fruitloops)
Die Sünden der Väter, so kann man es wohl bezeichnen, sind 1:1 in Mass Effect - Andromeda weitergeführt worden. Und ein paar neue sind hinzugekommen. Es gibt viele Dialoge. Das sind Fans gewöhnt und wollen es auch so, zumal bisher die Gespräche stets interessant waren und den Figuren Persönlichkeit verliehen haben. Teilweise sind nun die Konversationen allerdings sowas von flach, werden aber mit bitterer Miene vorgetragen, noch dazu von seltsamen Pausen durchsetzt.
Zwar ist es löblich, dass ihr nun die Möglichkeit habt, mit bis zu vier Antwortmöglichkeiten einem Gespräch mehr Nuancen zu verleihen, letztendlich bleibt euch nur die Auswahl aus mehreren Schattierungen von Ja und Nein. Es ist eine gewisse Augenwischerei, die aber durchaus ihre Daseinsberechtigung hat, wenn sich dadurch große Änderungen im Spielablauf ergeben. In den 20 Stunden Spielzeit, die wir bisher investiert haben, war das jedoch noch nicht der Fall.
Vorteil für außerirdische Rassen wie Salarianer, Kroganer und Turianer: Sie haben von Natur aus so gut wie keine Mimik.
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