Story und Interaktivität: Ein Profit für Spiel und Spieler (Special)

von Micky Auer (Dienstag, 17.04.2018 - 17:32 Uhr)

Früher war alles ... besser? Nein, war es nicht. Zumindest nicht immer. Zum Beispiel war ein Action-Spiel in der Vergangenheit nicht mehr als das: Ein Action-Spiel. Doch hier hat eine Entwicklung stattgefunden.

Ihr müsst gar nicht mal so weit in die Vergangenheit gehen, um klare und leicht erkennbare Grenzen der Genres von Videospielen zu sehen. Da gibt es zum Beispiel die drei Grundrichtungen Action, Geschicklichkeit und Rollenspiel. Daraus lässt sich so gut wie der ganze Mainstream-Markt ableiten. Doch das sollte nicht von Dauer sein.

Die Grenzen zwischen Action und Abenteuer verschwimmen. So mancher Shooter verfügt über starke Rollenspielelemente. Und das Thema "Geschicklichkeit" verlagert sich mehr und mehr in den Bereich der Beat 'em Ups, während klassische Hüpfereien immer mehr zum nostalgieträchtigen Kuriosum werden.

God of War: Action-Helden begehen keine Fehler und stellen keine Fragen. Oder etwa doch?
God of War: Action-Helden begehen keine Fehler und stellen keine Fragen. Oder etwa doch?

Diese Transformation der Genres begann wohl erst in der vorhergehenden Hardware-Generation (also PS3 und Xbox 360), nimmt in der jetzigen (PS4 und Xbox One) aber volle Fahrt auf. Um dies zu veranschaulichen, kurz ein Beispiel:

Das erste Uncharted war ein geradliniges Abenteuer mt Sprung- und Klettereinlagen, garniert mit einigen zünftigen Schießereien. Die Hauptfigur, Nathan Drake, ist ein liebenswerter, wenngleich eindimensionaler Abenteurer, der durch die haarsträubenden Abschnitte des Spiels geführt wird. Schneller Vorlauf zu Uncharted 4 - A Thief's End: Nathan ist ein Mann, der langsam in die Jahre kommt. Er hat sein Abenteurerleben gegen die Sicherheit von Ehe und festem Job eingetauscht. Doch in ihm brennt noch das Feuer und so begeht er einen Fehler. Allein dieser Aspekt: "Der Held begeht einen Fehler," ist etwas, das in einem herkömmlichen Action-Spiel in der Vergangenheit undenkbar gewesen wäre. Dabei bleibt es aber nicht.

Nathan belügt seine Frau und zieht auf der Suche nach Abenteuern in die Welt hinaus. Sie kommt ihm auf die Schliche, der Konflikt auf persönlicher Ebene rund um Vertrauen und Partnerschaft wird dargelegt. Gleichzeitig muss Nate lernen, seinen totgeglaubten Bruder wieder in sein Leben aufzunehmen. Zwischen all der Action entspinnt sich ein Geflecht aus sozialer Verantwortung sowie persönlicher Schwächen und Stärken, die ihr teilweise durch eure Entscheidungen als Spieler steuern könnt.

Uncharted 4 - A Thief's End - Story Trailer

Ganz klar: Hier haben die Autoren ganze Arbeit geleistet und der Vorlage mehr Tiefe und Charakter verliehen. Solche Erzählkonstrukte wären im Film ganz klar und deutlich dargelegt: Alles ist vorgefertigt und wird der Reihe nach abgespielt. Ihr seid als Beobachter dabei und seht, was da vor euch geschieht. So stellt sich zum Beispiel die Erzählung auch im kommenden God of War dar. Ihr durchlebt gut geschriebene und inszenierte Momente, jedoch habt ihr nur im Kampf direkten Einfluss auf das Geschehen. Ein Spiel ist im Gegensatz zum Film interaktiv, und mitunter steuert ihr selbst, wie sich die Geschichte entfalten soll. Und das nicht bloß durch eure Entscheidungen. Oder heißt das am Ende, das Spiel steuert euch? Das ist gar nicht mal so abwegig.

Ihr dürft mitreden

In vielen modernen Spieleproduktionen seid ihr nicht mehr bloß Beobachter oder externer Befehlsgeber, ihr werdet zur Interaktivität aufgefordert, selbst wenn es nicht um die Steuerung des Helden und seiner Handlungen geht. Oft sollt ihr auch ein Gespräch steuern, einen Dialog beeinflussen und auf diese Weise die Bindung zu anderen Charakteren gestalten oder die Geschichte in eine neue Richtung vorantreiben. Um die im obigen Absatz gestellte Frage zu beantworten: Ja, oft werdet ihr vom Spiel gesteuert. Ihr werdet dazu angehalten, Entscheidungen zu treffen und mit der Erzählung zu interagieren.

Dragon Age - Origin: Setzt ihr die Interaktionsmöglichkeiten richtig ein, kann das mitunter, ähm ... angenehme Auswirkungen auf die Erzählung haben.
Dragon Age - Origin: Setzt ihr die Interaktionsmöglichkeiten richtig ein, kann das mitunter, ähm ... angenehme Auswirkungen auf die Erzählung haben.

Schaut auch zum Beispiel Spiele wie Dragon Age - Origins oder die "Mass Effect"-Trilogie an. In Gesprächen erhaltet ihr die Möglichkeit, gezielte (obwohl immer noch vorgefertigte) Fragen zu stellen oder gar gänzlich kontroverse Aussagen zu tätigen, die eurem virtuellen Gegenüber gar nicht schmecken.

Das bedeutet irrsinnig hohen Aufwand für die Dialog-Autoren des Spiels. Noch mehr Aufwand bedeutet es für die gesamte Entwicklung, wenn durch solche interaktiven Gespräche der gesamte Handlungsverlauf in eine neue Richtung gelenkt wird. Bislang ist das selten geschehen. Im Falle von Mass Effect ist zumindest die Absicht vorhanden, jedoch zeigt sich in der Praxis, dass die möglichen Antworten im Grunde nichts anderes sind als verschieden stark ausgeprägte Nuancen von "Ja" und "Nein".

Aber egal wie weitreichend die Auswirkungen solcher Auswahlmöglichkeiten sind, darum geht es vielleicht im Endeffekt gar nicht. Allein dadurch, dass euch die Auswahl mit scheinbar unterschiedlichen Konsequenzen gegeben wird, verstärkt sich die Immersion. Euer Handeln, euer Denken, eure Ansichten sind nicht mehr vom Spielgeschehen getrennt. Ihr mögt einen NPC nicht? Ihr entscheidet, ihm im Spiel zu schaden. Euch gefällt der Verlauf einer Verhandlung nicht? Ihr entscheidet, im Gespräch dagegen zu halten. Ihr seid es, die die Handlung beinflussen und nicht mehr Commander Shepard, der Inquisitor oder Nathan Drake. Ihr werdet durch die Interaktivität der Gesprächsoptionen ein Teil des Spiels. Und wenn ihr später Freunden vom Spiel erzählt, sagt ihr vermutlich irgendwann: "Und dann habe ich ..." Und nicht: "Und dann hat Commander Shepard ..."

Das Sci-Fi-Epos: Gemeinsam gegen die Reaper in Mass Effect

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Die Verschmelzung von Interaktivität und Erzählung stellt eine Weiterentwicklung dar, die in vielen Spielen Anwendung findet. Dadurch entsteht ein Gefühl des Teilhabens, das in dieser Form zuvor nur selten und kaum genreübergreifend vorhanden war. Ein Action-Held war ein Action-Held. Jetzt seht ihr oft, wie er außerhalb der Action agiert, welcher Charakter dahintersteckt und oft habt ihr die Möglichkeit, direkt durch Dialogoptionen in diese Rolle zu schlüpfen. Wenn diese Technik richtig angewendet wird, stellt sie definitiv einen großen Gewinn für ein Spiel dar.

So hautnah wie es nur in Videospielen möglich ist

Richtet den Blick auf Spiele, die erst dank interaktiver Technik in der Lage waren und sind, Einzelteile aus verschiedenen Genres zu einer neuen Erzählform zu kombinieren, die sich recht nahe am Vorbild von Filmen orientiert. Als Beispiele dienen hier Heavy Rain, Beyond Two Souls und das kommende Detroit - Become Human, alle drei von Entwickler Quantic Dream. Von kritischer Seite wird diesen Spielen oft vorgeworfen, sie seien nicht mehr als vorgefertigte Szenen, die durch simple Kommandos zu scheinbar interaktivem Leben erweckt werden.

Story Trailer

Nun, bei Licht betrachtet stimmt das sogar in den gröbsten Zügen. So, wie das auch auf fast jedes andere Spiel zutrifft: Die Entwickler entwerfen ein Szenario, das durch eure Interaktion erst zu einem laufenden Spiel wird. Drückt ihr auf keinen Knopf oder tätigt auch sonst keine Eingabe, auf die das Programm reagiert, wird nichts geschehen. Mittlerweile hat sich die Spielmechanik der genannten Beispiele schon besser etabliert, gerade anfangs war es aber ungewohnt für viele Spieler, Szenarien zu beeinflussen, die eher wie eine selbstlaufende Zwischensequenz aussehen.

In den Grundzügen handelt es sich um Adventures nach dem "Point and Click"-Prinzip. Dann wiederum gibt es actionreiche Szenen, die auf Basis von Quick Time Events funktionieren. Einer der wichtigsten Aspekte in der Mechanik ist aber das Dialog-System. Mögliche Antworten werden nicht brav am untere Bildschirm rand gelistet, sie umschwirren euch teils absichtlich schwer lesbar, wie eben auch Gedanken, die euch in stressigen Situationen durch den Kopf gehen. Manchmal müsst ihr euch unter Zeitdruck für einen Gedankenfetzen entscheiden.

Daraus entstehen gänzlich neue Situationen, auf die ihr als Spieler dann wieder entsprechend reagieren sollt. Das Empfinden bei der Entscheidungsfindung ist hautnah und unmittelbar. Ihr spürt förmlich die Auswirkungen eures Handelns, da sich das Szenario, die Charaktere und die Spielwelt, in der ihr gerade seid, durch diese intensive Form des Geschichtenerzählens aufgebaut haben und für die Dauer des Spiels zu der beinahe natürlichen Umgebung werden, in der ihr Dinge bewirkt.

Heavy Rain: Die Jagd nach dem Origami Killer entspinnt sich zum interaktiven Drama.
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Erneut tritt der bereits oben beschriebene Effekt ein: Ihr handelt nicht nur, ihr werdet zu einem Teil der Handlung. Interaktion und Erzählung gehen hier vielleicht noch intensiver Hand in Hand als bei der reinen Auswahl von Dialogoptionen. Am nähesten kommen dem die Renegade- und Paragon-Auswahlen in der "Mass Effect"-Trilogie oder manche Entscheidungen, die ihr als Geralt in The Witcher 3 - Wild Hunt treffen müsst. Beide geschehen nämlich unter Zeitdruck. Und Zeit ist ein enorm wichtiger Faktor in Sachen Interaktivität wie auch in der Entstehung von Immersion. Denn auch im echten Leben habt ihr nicht ewig Zeit, in stressigen Situationen auf die Pause-Taste zu drücken und das Für und Wider aller Optionen gegeneinander abzuwägen.

Und das war erst der Anfang

Virtual Reality (VR) ist ein Konzept, das in der nicht allzu fernen Zukunft vermutlich noch eine immens wichtige Rolle spielen wird. Durch VR seid ihr näher am Spielgeschehen dran als je zuvor. Allerdings stecken die Technik selbst und der kreative Umgang mit ihr noch in den Kinderschuhen. Der aktuelle Status erinnert ein wenig an die Anfänge der 3D-Grafik: Sie funktioniert, aber noch hat niemand so richtig rausgefunden, wie damit umzugehen ist. Aber: Alles nur eine Frage der Zeit.

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Augmentierte Realität (AR) ist da schon ein Stück weiter, wenngleich die Technik noch nicht zu signifkant neuen Formen der Erzählung geführt hat. Aber wie ihr am Beispiel von Pokémon Go seht, führt AR zu einer nahtlosen Verschmelzung der Realität und jener Welt, die ihr nur durch euer Smartphone sehen könnt. Auch hier wird die Zeit zeigen, wie kreative und findige Köpfe die Technik nutzen, um eine Erzählung noch interaktiver gestalten zu können.

Unser persönlicher Traum wäre natürlich letzten Endes ein Holo-Deck, in dem wir komplett auf unsere eigenen Handlungen angewiesen sind, um ein Erlebnis zu gestalten. Ein Avatar wäre dann nicht mehr nötig, da wir alle selbst in die Hauptrollen von Spielen schlüpfen können. Das ist natürlich noch dunkelgraue Zukunftsmusik. Ein Holo-Deck mit allen Schikanen ist noch Science Fiction. "Noch" - wohlgemerkt ...

Für den Moment genießen wir die Erforschung neuer Erzählformen, die erst durch eine Interaktion entstehen konnte, wie sie nur in Videospielen möglich ist. Wir hoffen sehr, dass es sich dabei um einen weiteren, wichtigen Schritt der Entwicklung des Mediums in Richtung anerkannter Kunstform handelt. Auch wenn wir im Grunde immer noch "nur" auf Knöpfe drücken - Was wir damit nun bewirken ist im Vergleich zu den Spielen der Vergangenheit ein Unterschied wie Tag und Nacht.

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