von MatthiasKreienbrink (Mittwoch, 06.06.2018 - 12:48 Uhr)
Gewalt hat in unserer Kulturgeschichte schon immer eine Rolle gespielt. In Literatur, bildender Kunst, auf den Bühnen oder in Filmen. Die Menschheit setzt sich seit jeher mit der Rolle der Gewalt, mit ihren Auswirkungen und Formen auseinander. Und doch gab es wohl auch schon immer eine Schwelle, die zu übertreten für einige unbehaglich war. In diesem Artikel soll es um die persönlichen Grenzen einzelner Menschen gehen.
Doom zum Beispiel war noch nie zimperlich, wenn es um Gewalt ging. Auch im neuesten Teil könnt ihr aus vielen durchschlagskräftigen Waffen wählen. Schießt und reißt euch durch Horden von Gegnern, deren Blut spritzt, während die Gedärme sprotzen. Und doch wird es wohl nicht so viele Menschen geben, die Anstoß an der Gewalt nehmen - denn es ist klar, dass es sich um eine andere Realität handelt, nicht unsere. Die Gewalt hat hier also andere Implikationen. Sie ist allgegenwärtig, bestimmt das Gefüge dieser Welt. Sie folgt einer Logik: nur durch die rohe Gewalt könnt ihr in dieser Welt überleben.
Durch die Geschichte der Menschheit zieht sich auch die Auseinandersetzung mit der Gewalt. Seit die ersten kulturellen Werke entstanden sind, seit die Menschheit sich mit sich selbst und ihrem Zusammenleben auseinandersetzt, wird auch Gewalt thematisiert.
Der Soziologe Norbert Elias hat 1939 in dem Buch "Über den Prozeß der Zivilisation" die Entwicklung der heutigen, "zivilisierten" Gesellschaften skizziert. Er beschrieb darin den Rückgang von alltäglicher Gewalt - dazu gehöre auch, dass die Menschen lernen mussten, mit ihren Mitmenschen auszukommen, ohne Gewalt anzuwenden. Diese impulsiven Affekte mussten sie lernen zu unterdrücken. Die Einübung solcher gesellschaftlicher Verhaltensregeln sei auch durch die Künste passiert. So sei etwa der mittelalterliche Minnesang ein Zeugnis davon, wie am Hof das Ansingen einer Frau aus der Ferne einem impulsiven Nachgeben des Sexualtriebs vorgezogen wurde.
Kurzum, die Theorie lautet, dass Gewalt in Medien und Künsten gerade dann allgegenwärtig ist, wenn sie in unseren Gesellschaften nachlässt - oder nahezu verschwunden ist. Wir setzen uns deswegen exzessiv mit Gewalt in Videospielen auseinander, weil sie in unserem Alltag kaum noch eine Rolle spielt. Oder andersrum: Dadurch, dass wir Medien wie Videospiele haben, konnten wir uns Räume schaffen, in die die exzessive Gewalt verbannt wurde.
Dennoch gibt es auch in Videospielen Grenzen. Gerade dann, wenn wir phantastische Räume wie die von Doom verlassen und einen gewissen "Realismus" anstreben, werden viele Menschen abgeschreckt. In diesem Artikel soll es freilich nicht um die Frage gehen, ob die Gewalt in Videospielen sich negativ auf Menschen auswirkt. Vielmehr sollen im Folgenden Personen zu Wort kommen, die sich professionell mit Videospielen auseinandersetzen - über sie schreiben und berichten. Wir haben sie gefragt, wo ihre ganz persönliche Grenze liegt. Ab wann machen ihnen Videospiele ob der Gewalt keinen Spaß mehr?
"Mein persönliches Gewalt-Frühwarnsystem hat im vergangenen Herbst angeschlagen – just, nachdem ich Wolfenstein 2 durchgespielt hatte. Das Spiel ist in jeder Hinsicht großartig, trotz der absurden Brutalität, gerade im letzten Drittel des Spiels. Direkt im Anschluss wollte ich mit Call of Duty - WW2 weitermachen. Doch die Solo-Kampagne habe ich nicht mal eine halbe Stunde ertragen: Mit dem Flammenwerfer durch einen Normandie-Bunker zu rennen, samt der realistischen Darstellung und den Todesschreien, all das empfand ich als extrem abstoßend. Mit Spielspaß hatte das für mich nichts mehr zu tun."
"Ich glaube nicht, dass es für mich eine grundsätzliche Grenze gibt - es ist immer eine Frage der Kontextualisierung. Ein Doom ist, wenn man lediglich mal die gewalttätigen Aktionen auflistet, deutlich brutaler als Bioshock - Infinite. Wenn ich aber als wütender, übermenschlicher Space Marine Dämonen in der Hölle zerschnetzele, hat das einen in dieser Spielwelt logischen Grund und passt zum restlichen Spielerlebnis. Im direkten Vergleich weniger brutale Aktionen wirken in Bioshock: Infinite dagegen deutlich unpassender und sorgen bei mir für Kopfschütteln: Wenn Booker dank verschiedener Nahkampf-Finisher irgendwelchen Polizisten die Köpfe abtrennt und das in den folgenden Dialogen niemals thematisiert wird, wird die Gewalt zum Selbstzweck und steht im direkten Konflikt mit der Erzählung. Dieser Selbstzweck ist es, der mir Unbehagen bereitet. Nichts, was in einem Hatred passiert, könnte jemals an die unglaubliche Gewalt von Spec Ops - The Line heranreichen. Doch während Spec Ops die Gewalt zur Erzählung seiner Geschichte nutzt und diese deutlich hinterfragt, ist es der Akt der Gewalt selbst, der in Hatred Spaß machen soll"
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