von MatthiasKreienbrink (Sonntag, 19.08.2018 - 11:00 Uhr)
Die USK hat bekanntgegeben, dass Videospiele von nun an unter die Sozialadäquats-Klausel fallen können. Dadurch wird bei der Prüfung durch die USK berückstichtigt, dass auch Videospiele verfassungswidrige Symbole darstellen dürfen, insofern sie der Aufklärung oder der Kunst dienen. Es gibt mehrere Dinge, auf die wir diesbezüglich in den kommenden Monaten achten sollten. Lest hier, welche das genau sind - und disktuiert mit uns, was ihr erwartet.
Zunächst zum Grundsätzlichen, solltet ihr euch bereits in der Sache um die USK und verfassungswidrige Symbole auskennen, könnt ihr diesen Teil überspringen. Der Grund für die Nicht-Darstellbarkeit in den von der USK zu prüfenden Spielen ist der Paragraph 86 des Strafgesetzbuches. Dieser besagt, dass Propagandamittel nicht verbreitet werden dürfen. Wer das doch tut, kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Ausgenommen sind jedoch die staatsbürgerliche Aufklärung, die Kunst oder die Forschung. Wenn Symbole wie etwa Hakenkreuze in diesen Kontexten genutzt werden, sind sie erlaubt. Doch Videospiele wurden nicht als Medium gesehen, in denen das passieren kann. In Filmen, in der Literatur, in Kunstwerken und auf Theater- und Operbühnen ist die Darstellung dieser Symbole jedoch längst gang und gäbe.
Am 9. August jedoch hat die USK verlautbaren lassen, dass nun auch Videospiele unter die Sozialadäquats-Klausel fallen können. Der Grund: "Die Änderung wurde durch eine veränderte Rechtsauffassung der zuständigen Obersten Landesjugendbehörde möglich, die den aktuellen rechtlichen Bewertungen Rechnung trägt." Wichtig ist jedoch zu beachten, dass dies nicht eine generelle Erlaubnis von Hakenkreuzen und anderen Symbolen bedeutet. Die USK wird nach wie vor jedes Spiel einzeln prüfen und entscheiden, ob in den jeweiligen Fällen eine Rechtfertigung für die Darstellung gegeben ist. Sollte dem nicht so sein, gäbe es auch weiterhin keine Freigabe des Spiels in Deutschland.
Was aber bebeutet diese Änderung in der Rechtsauffassung eigentlich für Videospiele? Was für uns als Gesellschaft? Um uns dieser Frage zu nähern, wollen wir in ein paar Punkten anreißen, auf welche Dinge wir in den kommenden Monaten achten sollten. Welche Themen uns wohl noch länger beschäftigen werden.
Zuforderst ist wohl der Umstand zu nennen, dass diese Änderung in der Rechtsauffassung dafür sorgen kann, dass das Medium Videospiel zukünftig anders wahrgenommen wird. Ernster genommen wird. Denn die Meldung der USK zeigt vor allem eines: Videospielen wird unter Umständen zugetraut, dass sie sich auch ernsten Themen wie dem sogenannten Dritten Reich adäquat widmen können - inklusive der Symbole, die eigentlich verboten sind.
Das Zutrauen könnte gerade in der deutschen Entwickler-Szene dafür sorgen, dass sich dem Thema gründlicher und intensiver angenommen wird, ohne die Angst, dass das Spiel nur geschnitten oder unter Umständen gar nicht in Deutschland erscheinen könnte. Gerade Letzteres ist für deutsche Entwickler ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Doch auch kulturell und gesellschaftlich ist es ein wichtiger Schritt. Deutschland ist das Land, aus dem diese Vernichtung, der Menschenhass des sogenannten Dritten Reichs hervorgegangen ist. Möchten sich Videospiele als ein Medium sehen, das solche komplexen Themen ernsthaft behandeln kann, ist es unumgänglich auch das zu zeigen, worum es geht.
Ein Spiel wie etwa Through the Darkest of Times wird euch den Widerstand in Deutschland erfahrbar machen. Euch zeigen, wie es hätte sein können, sich gegen das System aufzulehnen. Ein System, das mit eben jenen Symbolen wie dem Hakenkreuz versuchte zu unterdrücken, mundtot zu machen - zu töten. Der Schrecken des Systems verdichtet sich in diesem Symbol.
Der oben beschriebene Diskurs ist einer, der bisher vor allem von der videospielenden Gesellschaft geführt wird. Die Frage die sich stellt ist aber auch, wie wohl der Rest der Gesellschaft diese Änderung aufnehmen wird. Denn seien wir ehrlich: Überschriften wie "Videospiele jetzt auch mit Hakenkreuzen", werden wohl einige, gerade solche, die mit Videospielen sonst kaum Berührungspunkte haben, entsetzen.
Um diesen gesellschaftlichen Diskurs zu beobachten und einschätzen zu können, kann es hilfreich sein, die Berichterstattung außerhalb der Spielepresse zu beobachten. Die ersten Meldungen dahingehend waren ziemlich sachlich gehalten. Wie etwa hier beim Tagesspiegel oder auch bei der Welt.
Interessant zu sehen wird es jedoch, wie die Nicht-Spiele-Presse auf die ersten Spiele reagieren wird, die eventuell kontroverser sein werden als ein Through the Darkest of Times. Es ist gut möglich, dass dann die "Wie bedenklich ist das nun eigentlich?"-Schlagzeilen überwiegen werden. Und damit auch eine eher skeptische Haltung in der Bevölkerung gefördert würde.
Selbstverständlich ist es wichtig, kritisch mit diesem Thema umzugehen. Es gibt berechtigte, kritische Fragen, die gestellt werden können und sollen. Einige von diesen werdet ihr noch in diesem Text lesen können. Doch ist eine differenzierte und aufgeklärte Berichterstattung wichtig, die nicht nur die Bedenklichkeiten sieht, sondern auch die vielen Möglichkeiten und interessanten Ansätze, die Videospiele zum historischen und politischen Diskurs hinzufügen können.
Der Zweite Weltkrieg ist in Videospielen schon sehr oft vorgekommen. Oft dient er als eine Kulisse für Shooter. Eine recht austauschbare Folie, die über die altbekannten Mechaniken der Spiele gelegt wird. Ein Beispiel ist Call of Duty- WW2, das im vergangenen Jahr erschienen ist. Zwar wollte dieses in Ansätzen die Einmaligkeit des Zweiten Weltkriegs darstellen, war schlussendlich aber doch vor allem wieder die Möglichkeit, originalgetreue Gewehre zu präsentieren. Und eine Verklärung von Heldentum im Krieg.
Bekannt ist freilich auch der Fall Wolfenstein 2 - The New Colossus. Auch dieses erschien im vergangenen Jahr und verzichtete auf die Darstellung von Hakenkreuzen und anderen Symbolen. Doch da, wo die amerikanischen Version noch die Vernichtung des Judentums thematisierte und Blaskowicz selbst als wehrhaften Juden darstellte, verzichtete die deutsche Version komplett auf diese Motive. Auch eine Folge des "Hakenkreuz-Verbots": die Angst von vielen Entwicklern vor der deutschen Öffentlichkeit. Die Skepsis, dass das eigene Spiel wohl missverstanden werden könnte.
Zu hoffen ist, dass die Änderung in der Rechtsauffassung in Deutschland auch dafür sorgt, dass sich der Fokus ein wenig vom Zweiten Weltkrieg als Kulisse löst und dafür Raum und Möglichkeiten schafft, den Holocaust, die Vernichtung, die Propaganda der Diktatur zu Behandeln. Ein gutes Beispiel dafür ist etwa Attentat 1942, in dem Überlebende der Vernichtsungsbestrebungen des sogenannten Dritten Reichs zu Wort kommen. Ein Spiel übrigens, das in Deutschland bisher gar nicht erschienen ist.
Eine große und wichtige Frage, die sich an eine fundiertere Auseinandersetzung mit Themen wie dem Holocaust ergibt, ist die nach der Abstumpfung. Was macht es mit uns Spielern, wenn wir zukünftig eventuell öfter mit Hakenkreuzen, mit SS-Runen, mit Adolf Hitlers Abbildung konfrontiert werden? Stumpfen wir dadurch ab? Verlieren die Themen dadurch an Drastik? Werden sie Beliebig? Diese Fragen sind sicherlich nicht abschließend zu beantworten. Doch schaut man sich etwa das Medium Film an, scheinen sie unwahrscheinlich. Denn lässt ein Film wie Schindlers List abstumpfen? Oder eine Dokumentation wie Shoah von Claude Lanzman. Nein, sie klären und wühlen auf. Lassen uns nachempfinden.
Und doch bleiben wichtige Fragen. Wollen wir etwa Hakenkreuze in Multiplayer-Spielen? Wollen wir die Möglichkeit, als Nazi-Deutscher mit SS-Ruhe auf dem Revers in den Krieg zu ziehen, andere Länder überfallen - und womöglich noch gewinnen? Überschreiten wir da nicht die Grenze zur Verherrlichung? Schon jetzt gibt es Spiele, in denen sich Communties bilden, die ihre nationalsozialistischen Ansichten verbreiten wollen. Könnten sich solche Fälle zukünftig noch vermehren?
Die obigen Fragen jedoch bieten auch eine gute Möglichkeit. Nämlich die, dass ein gesellschaftlicher Diskurs dazu ins Rollen kommt, was wir von Videospielen wollen - und was nicht. Denn schlussendlich liegt es in der Verantwortung von uns, den videospielenden Menschen, was wir aus den neuen Möglichkeiten machen. Wir können selbst gestalten, was wir in Videospielen sehen wollen. Wir können selbst entscheiden, wie wir mit diesen Symbolen umgehen. Denn selbst ein Multiplayer-Spiel mit verfassungswidrigen Symbolen wird erst dann bedenklich, wenn die Spieler sie missbrauchen.
Das ist dann doch der große Unterschied zwischen etwa dem Film und dem Videospiel: die Interaktivität. Die Veränderbarkeit durch die Spieler. Und dazu gehört auch eine gewisse Verantwortlichkeit, die, sollten wir als Spieler sie uns aneigenen, eine große Bedeutung haben kann - und kein Spaßkiller sein muss, den viele Spieler bei solchen Themen oft befürchten. Eines ist schließlich sicher: sollte es mehr Spiele geben, die ernsthafte Themen adäquat behandeln, bedeutet das nicht, dass die "Spaß-Spiele" dadurch weniger würden.
Und schlussendlich ist eben doch immer noch die USK da, die sachlich und differenziert entscheiden kann, was in einem Videospiel dargestellt werden sollte und was nicht. Alles was wir brauchen, ist ein gewisses Vertrauen. Das schaffen wir. Aber nun seid ihr an der Reihe. Was erhofft ihr euch denn von den Veränderungen, die Videospiele in Deutschland gerade durchmachen? Schreibt uns eure Meinung doch in die Kommentare, wir sind gespannt!
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