Für Open World ohne Inhalt: Eine offene Spielwelt muss nicht vollgemüllt sein (Kolumne)

Spider-Man verzückt derzeit Spieler und Kritiker weltweit. Und doch gibt es Leute, die sich darüber beschweren, die Welt böte zu wenig richtige Inhalte. Ich sehe darin einen Irrtum, der sich um Open Worlds eingeschlichen hat: Nicht jede große, offene Spielwelt muss mit Kram zugekleistert sein.

Open Worlds müssen nicht zwingend voll mit Inhalten sein. Oder um es auf die Spitze zu treiben: Open Worlds dürfen und müssen manchmal auch einfach leer sein. Wie ich zu dieser Annahme komme? Weil ich bemerkt habe, dass viele den Begriff Open World sofort als Versprechen verstehen. Ein Versprechen, das in Werbetexten großer Blockbuster-Titel oft gegeben wird, aber eben nicht jedem einzelnen Entwickler zur Last werden sollte, der offene Spielwelten baut.

6 Minuten Infos und Spielszenen

Wenn beispielsweise Ubisoft ein Assassin’s Creed – Odyssey ankündigt, stellt sich bei Spielern augenblicklich eine sehr konkrete Erwartungshaltung ein. Warum? Zum einen, weil Ubisoft-Spiele im Verruf stehen, sehr formelhaft umgesetzt zu sein. Zum anderen, weil der Konzern - wie auch andere große Player - das Gros ihrer Kundschaft mittlerweile darauf konditioniert hat, Open Worlds mit Tausenden von Collectibles und Beschäftigungen zu assoziieren. Das färbt auf die Erwartungen gegenüber Entwicklungen ab, hinter denen möglicherweise völlig andere Intentionen stehen.

Nahtlos, zwanglos, Open World

Denn was bedeutet Open World im Kern? Erst einmal nur, dass es sich um eine Spielwelt handelt, die nicht in kleinere Abschnitte eingeteilt ist. Eine, die man sich nicht zwingend linear erschließt. Dass es eine große Landfläche gibt, die relativ frei zu erkunden und begehen ist, in der Regel nahtlos, also so, dass eine Region direkt an die nächste anschließt und keine Ladezeiten zwischen ihnen liegen.

Hat Open Worlds auf das nächste Level gehoben: Grand Theft Auto 3.
Hat Open Worlds auf das nächste Level gehoben: Grand Theft Auto 3.

Angefangen mit Spielen wie Grand Theft Auto 3 entwickelten sich offene Spielewelten im Laufe der Jahre immer weiter. Und es ist nur logisch, dass mit technischem Fortschritt immer neue Möglichkeiten ausgereizt wurden, die Spielewelten mit Inhalten zu füllen. Somit hat der Begriff Open World heutzutage eben immer auch den Bedeutungsbereich von Nebenmissionen, optionalen Beschäftigungen und Sammelgegenständen, die überall versteckt sind. Interagieren, interagieren, interagieren. Anstatt einfach mal nur anwesend zu sein.

Wenn eine Landschaft nur eine Landschaft ist

Aber was, wenn große, frei erkundbare Spielwelten nicht mehr sein wollen als eben genau das? Ein Extrembeispiel: Shadow of the Colossus würde nicht funktionieren, wenn es mit Kartenpunkten, Fundorten, NPCs und Side-Quests vollgestopft wäre. Das Spiel findet deswegen Anklang, weil das Begehen dieser nahezu leeren, wunderschönen und stimmungsvollen Spielwelt Gefühle von Einsamkeit und Melancholie hervorruft. Die Leere ist hier ein Zündstoff dafür, sich Gedanken zu machen, oder man genießt einfach die Atmosphäre. Beides wäre unmöglich, würde man permanent durch irgendwelche Beschäftigungen abgelenkt werden.

Ohne Netz und doppelten Boden: In Shadow of the Colussus braucht es keine Side-Quests.
Ohne Netz und doppelten Boden: In Shadow of the Colussus braucht es keine Side-Quests.

Und auch abseits dieses extremen Beispiels gibt es Kulissen, die eben nicht mehr, aber auch nicht weniger sind als das: Schöne, toll dargestellte Kulissen, die als Basis etwa für spannende Handlungen dienen. Beispiele wären hier Mafia 3 oder L.A. Noire.

In den Städten beider Spiele macht ihr nicht viel mehr, als von A nach B zu fahren. Aber ist es nicht genau das, was den Schauplätzen ihre Berechtigung gibt? Nimmt man den Spielen die frei begeh- und fahrbaren Städte weg, bleiben direkt aneinandergeheftete Missionen, die ihr eine nach der anderen abgrast. So bleibt zwischen den Einsätzen Luft zum Atmen und Einsaugen der Stimmung, die in der Stadt herrscht, in der sich die Geschichte abspielt. Die Handlung wird sinnvoll in einen passenden Handlungsort gebettet, wodurch sie greifbarer wird.

Der Spinnenmann, der schwingen kann

Ähnliches gilt für das aktuelle Beispiel Spider-Man. Zwar gibt es hier Nebenaufgaben und Sammelgegenstände, aber der Vorwurf bleibt nicht aus, die Stadt selbst sei einfach nur Kulisse und deswegen uninteressant. Ich sage: Genau deswegen ist sie interessant. Sie ist nämlich eine fantastische Kulisse, liebevoll eingerichtet und im fahlen Abendlicht durch die Häuserschluchten zu schwingen, trägt enorm zum waschechten Spidey-Feeling bei, das den Superhelden so einzigartig macht.

Spider-Man wäre ohne freies Schwingen einfach nicht das Selbe.
Spider-Man wäre ohne freies Schwingen einfach nicht das Selbe.

Natürlich sind es vor allem große Publisher und Entwickler, die riesige Spielwelten erschaffen können. Aber auch im Indie-Bereich trauen sich Entwickler immer mehr, auch große und schöne Welten als Ort des Geschehens zu etablieren. Der Anspruch an ausgewiesenen Beschäftigungen sollte hier noch weniger gestellt werden, denn es muss von vornherein allen bewusst sein, dass das mit den meist begrenzten Ressourcen der Teams nicht zu bewerkstelligen ist.

Und das soll es oft auch gar nicht. Spiele wie Yonder – The Cloud Catcher Chronicles oder auch das kommende Sable nehmen sich nicht vor, die Fülle an Inhalten zu bieten, die AAA-Titel potenziell enthalten können. Hier sollen die Welten schön anzusehen sein und zum Fantasieren anregen. Das klappt nun einmal nicht, wenn an jeder Ecke etwas lockt oder euch anschreit, endlich freigeschaltet oder erledigt werden zu wollen.

Open World: Die Top 10 der größten Videospielwelten aller Zeiten

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Eure Meinung interessiert uns: Open World immer voller Kram oder reicht es auch mal, eine schöne Kulisse für eine fesselnde Handlung zu haben? Schreibt es uns in die Kommentare, wir freuen uns eure Ansichten zu lesen.

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