von Michael Sonntag (Samstag, 22.01.2022 - 12:00 Uhr)
Es gibt kaum noch moderne Strategiespiele, die mich wirklich catchen. Der Markt wird von wenigen mächtigen Größen wie Age of Empires 4 und Anno 1800 dominiert, alles sieht für mich irgendwie gleich aus und wenn ich nach guten Alternativen suche, brauche ich extrem lange oder finde nur halbe Sachen. In solchen Situationen lasse ich die Gegenwart meist links liegen und fische lieber in meinem nostalgischen Retroversum. Dabei fiel mir ein Spiel ein, das an Charme und Atmosphäre kaum zu schlagen ist. Das Problem ist nur: Niemand kann es heute noch spielen. Oder nur mit sehr großem Aufwand, wie ich lernen durfte. Dieser hat sich aber hundertfach gelohnt.
Manche von euch werden sich vielleicht erinnern: Im Sommer 2001 setzte der österreichische Entwickler Jowood mit Die Völker 2 seine drollige Strategiespielreihe fort. Angelehnt an Die Siedler könnt ihr hier die Kontrolle über eines von drei kuriosen Völkern übernehmen: die Oger-artigen Pimmons, die Sajiiki-Insekten oder die humanoiden Amazonen. Anstatt die Einheiten selbst zu befehligen, müsst ihr als Herrscher den Städtebau, die Schulbildung, die Forschung und den Handel leiten. Einer von vielen drolligen Aspekten: Der zeitliche Ablauf ist in Arbeitsstage aufgeteilt, das heißt, eure Bewohner verlassen morgens ihre Häuser, machen pünktlich Mittagspause und kehren abends heim, kurz nachdem sie dem Markt und dem Tempel einen Besuch abgestattet haben.
Der allgemeine Look, der ikonische Soundtrack von "Assassin's Creed"-Komponist Jesper Kyd, der Humor – all das machte Die Völker 2 für mich zu einem unglaublich tollen Kindheitserlebnis. Heute, fast 21 Jahre später, ist es leider nahezu unspielbar. Das hängt mit mehreren Problemen zusammen:
Was also tun? Ein IT-Experte und Freund von mir riet mir dazu, einen Betriebssystem-Emulator einzurichten. Kurz: Wir würden mit meinem Rechner digital in die Zeit zurückreisen und sämtliche alte Hardware einfach simulieren. Ich als PC-Padawan hatte noch nie davon gehört und war sehr gespannt darauf, ob es funktionieren würde. Und ja, es ist legal – aber trotzdem nicht einfach.
Ich möchte hier nicht zu technisch werden. Ich kann nur sagen, es war ein aufregender Samstagnachmittag mit stundenlangen Discord-Gesprächen und Bildschirmübertragungen, bei dem mein Freund und ich uns wie bei Zurück in die Zukunft vorkamen. Während er als Doktor Brown alle Details sowie Einstellungen durchgab und Dinge recherchierte, fügte ich als unbeholfener Marty McFly alles auf meinem Rechner zusammen. Ein Punkt stellte uns allerdings vor eine Herausforderung: Um diese Zeitmaschine überhaupt starten zu können, braucht ihr als Kernstück das entsprechende Betriebssystem, auf dem alles aufbauen soll.
Wer löblicherweise einen Bogen um illegale Kopien im Netz machen will (und sollte), braucht eine der uralten Original-CDs mit Key. Unsere Rettung stellte der Büroschrank meiner Eltern dar, die ich anrief. Nach minutenlangem Geraschel, das die Spannung ins Unermessliche trieb, wurde mein Vater schließlich fündig. Das Ganze in eine ISO-Datei umgewandelt, ab auf den PC, die Offline-Version von Die Völker 2 via GoG herunterladen, ein paar Ordnerverschiebungen und auf geht's!
Und wow, es ist ein unglaublicher Moment, der euch emotional galaxienweit schleudert, wenn ihr nach Jahrzehnten den Windows-Start-Sound wieder hört. Bei all den Strapazen und den Nostalgie-Flashs hatte ich fast vergessen, wofür ich das eigentlich tun wollte: Ach ja, Die Völker 2! Und auch das funktionierte tadellos! Ich wählte wieder die Pimmons, mein Lieblingsvolk, baute die Stadt exakt genauso wie damals auf, die Schule direkt neben das Rathaus, darunter das Wirtshaus, und brachte es nach einigen Ingame-Tagen auf die höchste Entwicklungsstufe – (Hier ein kurzer Twitch-Einblick!)
Auch heute sind der Look und das Gameplay noch unglaublich charmant, auch heute ist das Kriegsgameplay immer noch genauso stumpf wie früher und auch heute führt die extrem schnelle Fortpflanzung meines Volkes dazu, dass ich irgendwann kaum noch Güter habe, um alle zufriedenzustellen. Die einzige Lösung besteht auch heute noch darin, einen Polizeistaat zu errichten und alle unzufriedenen Bürger einzusperren oder ihnen nahezulegen, umzuziehen. Ähm ... ja. Nach all diesen Jahren merke ich umso deutlicher, dass Die Völker 2 eigentlich nicht besonders gut ist und strenggenommen immer gleich abläuft. Aber: Für mich ist es auch nach 21 Jahren etwas Einzigartiges, etwas Fesselndes mit viel Kindheitsmagie. Ich bin zusätzlich dankbar für die Strapazen bis hierher, da diese die Belohnung umso größer machten.
"Hey, Michael, hast du schon Age of Empires 4 gespielt?", hörte ich diese Tage viel zu oft. Mich zog es stattdessen zurück in die Vergangenheit und ich nahm viel auf mich, um mein altes Kindheitsspiel Die Völker 2 wieder zum Laufen zu bringen. Und wisst ihr, was das noch viel Bessere daran ist? Mit dieser Zeitmaschine ist es auch möglich, alle anderen Kindheitspiele zurückzuholen! Mein nächstes Spiel wird Lego Racer sein. Und bei euch?
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