von Marina Hänsel (Montag, 03.10.2022 - 15:30 Uhr)
Was haben ein Eimer und ein verstecktes Genre miteinander zutun? Und warum mag ich zwar The Elder Scrolls, aber nicht The Witcher? Gibt es jemanden da draußen, dem es auch so geht?
Vielleicht fangen wir am Anfang an: Es gibt drei Momente, in denen ich mich erneut in Skyrim verliebt habe: Erstens, als ich Skyrim mit 100 Mods ausgestattet habe, die es in eine Survival-Simulation verwandelten. Zweitens, als ich die Skyrim-Mod Enderal (ein eigenständiges Spiel) zum ersten Mal spielen durfte. Und drittens, als ich herausfand, dass man einen Eimer in Skyrim über den Kopf eines NPCs stülpen kann, damit der nicht sieht, wenn ich ihn ausraube.
Während dieses letzten Momentes dachte ich wortwörtlich: Verdammt, dafür liebe ich Skyrim. Dafür liebe ich alle Spiele, die so etwas können. Ich brauchte eine Weile, um herauszufinden, was ich damit eigentlich meinte: Da ist etwas in Skyrim, das The Witcher nicht hat. Da ist etwas in The Legend of Zelda: Breath of the Wild, das mich an Skyrim erinnert. Und dieses etwas ist auch in Kingdom Come: Deliverance.
Eine große, offene Welt? Nein, nein, das meine ich nicht. Freiheit? Irgendwie ja, irgendwie nein. RPG-Mechaniken? Nah dran.
Gloomwood: Gerade im Indie-Sektor gibt es immer wieder neue immersive Sims
Der Eimer in Skyrim kann etwas, das nur immersive Simulationen können. Und diesen Begriff habe ich mir nicht ausgedacht, nein, er bezeichnet ein existierendes Genre, das vielleicht der eine oder andere kennt. Immersive Sims sind überall, in vielen großen Blockbustern und in vielen äußerst beliebten Spielen anderer Genres: Deus Ex, System Shock, Thief, Bioshock, Prey, Dishonored.
Was ist eine immersive Sim? Vielleicht habt ihr schon einmal den Begriff „Immersive Sim Kitchen“ gehört, ein Begriff, der für ein perfektes, realitätsnahes und absolut unmögliches Spiel steht: Stellt euch vor, ihr spielt ein Spiel über das Kochen, und dieses Spiel besteht aus einer Küche und allen realen Lebensmitteln wie auch Kochutensilien. Wenn ihr Nudeln mit Tomatensoße zubereiten wollt, braucht ihr einen Topf für die Nudeln, Wasser zum Kochen, Tomaten, Zwiebeln, eine Pfanne, Käse ... und so weiter. Das alles gibt es in diesem Spiel. Und nur, wenn ihr exakt die richtigen Zutaten mischt und zubereitet, erhaltet ihr das Gericht "Nudeln mit Tomatensoße". Tatsächlich aber habt ihr unendlich viele Möglichkeiten, ein Gericht zuzubereiten. So viele Möglichkeiten eben, wie es in der Realität auch gibt. Ergo, dieses Spiel ist heute und sicher noch für lange Zeit unmöglich.
Gleichzeitig aber ist „Immersive Sim Kitchen“ der Traum vieler Spieler: Eine Lebenssimulation, die so echt wie die Matrix ist. Mit physikalischen Gesetzen und einer Tiefe an Möglichkeiten, die das Spiel „echt“ werden lassen.
YouTuber The Nth Review erklärt innerhalb von fünf Minuten wunderbar, was immersive Simulationen sind:
Neben vielen anderen Unterschieden, welche die Spiele voneinander trennen, sind es emergente Spielmechaniken („emergent gameplay“), auf die ich hinaus will. Und das ist gar nicht so kompliziert, wie es klingt: Emergente Spielmechaniken basieren auf relativ simplen Regeln in Spielen, die unvorhergesehene Spielzüge zulassen. Spielzüge, die selbst Entwickler nicht vorhersehen können.
Während der Landwirtschaftssimulator natürlich ein Simulator ist, verbirgt er keine immersiven Simulatormechaniken – er hat klare Spielregeln, die im Grunde nur zu einem Ergebnis führen, das der Entwickler auch so geplant hat: Ernte das Feld mit dem Fahrzeug ab und verkaufe, was du geerntet hast. Spiele, die wir Simulatoren nennen, sind meistens überhaupt keine immersiven Sims.
The Witcher 3: Wild Hunt, auf der anderen Seite, ist ein waschechtes Rollenspiel, das sich gegenüber von Skyrim eben darin unterscheidet, dass es hier sehr eindeutige Regeln gibt: Egal wie groß und offen und schön die Welt ist, Story und Gameplay bleiben linear.
Skyrim ist auch groß und offen und schön (heute mit den richtigen Mods), gleichzeitig aber so frei, dass ihr quasi fast jede Quest kreativ angehen könnt. Was das RPG teilweise ins Genre der immersiven Sims schiebt, ist etwa der Eimer, der scheinbar so programmiert ist, dass man nicht durch ihn hindurch sehen kann – auch NPCs können das nicht. Das ergibt auch Sinn, immerhin basiert das Schleichsystem darauf, dass ihr euch hinter Wänden und Objekten so verstecken könnt, dass die NPCs euch nicht sehen.
Diese Regel – niemand sieht euch, wenn ihr euch hinter festen Objekten versteckt – lässt so viel offen, dass Spieler Objekte auf völlig unvorhergesehene Weise nutzen können: Ihr dürft also kreativ werden! Stülpt einen Eimer oder etwas Ähnliches über NPCs und sie sind plötzlich blind. Irgendwie cool! Mit einer Lebenssimulation hat das natürlich nichts zu tun, denn NPCs bemerken den Eimer gar nicht, sie reagieren nicht darauf und nehmen ihn sich auch nicht vom Kopf.
Zelda: Breath of the Wild hat auch viele Mechaniken einer immersiven Sim. Deshalb könnt ihr derart kreativ werden, wenn ihr Rätsel löst, die Welt erkundet oder kämpft. Letztendlich diskutieren Spieler aber noch immer, was genau alles "immersive Sim" genannt werden darf und was nicht. Ist Hitman eine immersive Sim (weil es so viele Möglichkeiten gibt, die Rätsel zu lösen)? Darf Skyrim überhaupt eine immersive Sim genannt werden? Der Begriff ist nicht das Wichtige hier – es sind die Kreativität und die Freiheit.
Was ich mit all dem sagen will: Bitte mehr solche Mechaniken in Rollenspiele einbauen! In meinen Augen sorgen solche Spielmechaniken nicht nur für verdammt viel Spaß am Gameplay, sondern auch für ein Gefühl der "Echtheit" – ganz egal, ob die NPCs den Eimer bemerken oder nicht, dass es überhaupt funktioniert, macht die Welt irgendwie realer. Ergibt das Sinn?
Noch ein paar Beispiele von Open-World-Spielen mit Mechaniken einer immersiven Sim: The Elder Scrolls 3: Morrowind, Enderal, Fallout: Las Vegas, Cyberpunk 2077, die S.T.A.L.K.E.R-Serie.
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