von Ove Frank (Mittwoch, 21.12.2022 - 10:30 Uhr)
Es mag für viele zwar einer Majestätsbeleidigung gleichkommen, aber Assassin’s Creed Odyssey ist für mich ein besseres RPG als The Witcher 3: Wild Hunt. Wenn es um die Story geht, hat Ubisofts Epos bei einer wichtigen Sache nämlich klar die Nase vorn.
Ein Kommentar von Ove Frank.
Schön, nachdem ich eure Aufmerksamkeit bekommen habe, lasst mich begründen, wie diese Aussage gemeint ist, denn sie ist ja immerhin recht provokant.
Erstmal vorweg: Ich behaupte nicht, dass Assassin’s Creed Odyssey generell ein besseres Spiel sei als The Witcher 3, das denke ich nämlich nicht. Es funktioniert allerdings besser als Rollenspiel.
Bei einem Rollenspiel hat man gemeinhin die Möglichkeit, sich selbst und eigene Charakteristika sowie Entscheidungen auf das Spiel anzuwenden und das Spielgeschehen so nachhaltig zu beeinflussen.
In beiden Spielen können wir verschiedene Skills erlernen, um so unseren eigenen Spielstil zu kreieren und wir können Entscheidungen fällen, die die Handlung sowie die Beziehungen der Charaktere untereinander beeinflussen.
Auf charakterlicher Ebene funktioniert AC Odyssey dabei meiner Erfahrung nach besser als The Witcher 3, das wiederum in der Story-Entwicklung etwas die Nase vorn hat.
Man sollte an dieser Stelle erwähnen, dass beide Games keine echten Rollenspiele sind, lediglich Action-Adventures mit RPG-Elementen. In beiden habt ihr einen vorgefertigten Charakter und der Story-Verlauf bleibt recht linear. Wir können unsere Charaktere und Geschichten lediglich etwas einfärben.
In der GOTY-Version von The Witcher 3 gibt es neben dem Hauptspiel auch noch zwei fantastische DLCs zu erkunden:
Vor dem Hintergrund eines Rollenspiels hat The Witcher 3 gegenüber AC Odyssey einen klaren Vorteil: Der Umfang, in wie weit ihr die Geschichte beeinflussen könnt.
Während Assassin’s Creed Odyssey von den realen Ereignissen etwas eingeengt ist, genießt der Hexer hier deutlich mehr Freiheiten.
Die Witcher-Spiele sind zeitlich größtenteils nach den Büchern von Andrzej Sapkowski angesiedelt. Die Zukunft ist also offen. Das heißt, dass mit allen Figuren theoretisch auch alles passieren kann – niemand ist sicher.
Das nutzt The Witcher freilich aus, um euch die Möglichkeit zu geben, unterschiedliche Enden zu erspielen, die verschiedene Auswirkungen auf die Spielwelt haben. Assassin’s Creed kann dies in einem solchen Umfang freilich nicht bieten.
Was AC Odyssey aber stattdessen bietet, ist nicht minder spannend: So läuft neben der historisch motivierten Handlung rund um den Krieg zwischen Athen und Sparta noch eine persönliche Tragödie ab.
Neben dem Krieg ist Kassandra/Alexios darum bemüht, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten und die eigene Familie zusammenzuführen oder eben Rache zu suchen.
Dadurch, dass wir hier größere Freiheiten haben, wie unser Protagonist auf persönlicher Ebene agiert, können wir einen wesentlich dynamischeren Character-Arc zeichnen, als es das beim Hexer der Fall ist. Hier ist Geralts persönliches Ziel stets recht klar, er selbst variiert lediglich im Detail.
Ich habe beide Spiele mehrfach durchgespielt und jeweils andere Enden erreicht. Mir fiel dabei vor allem auf, dass die persönliche Reise, die ich mit Kassandra/Alexios erlebte, sich jeweils wesentlich stärker von der vorherigen unterschied als es bei Geralt der Fall war.
Bei beiden ersten Durchläufen hatte ich versucht, möglichst moralisch und gut zu agieren und hatte in beiden Fällen dementsprechend befriedigende Enden.
Nachdem ich dann aber wusste, wo die Reise grob hingehen würde, plante ich nun, meinen Protagonisten jeweils eine klare charakterliche Entwicklung zu verpassen, wobei ich zu einem überraschenden Ergebnis kam:
Geralt blieb stets Geralt. Mal war er etwas zynischer, mal ließ er sich mehr durch Mitleid leiten. Doch bei jeder Entscheidung hatte ich das Gefühl, dass Geralt nicht wirklich aus seinem vorgefertigten Charakter ausbrechen würde. Dies ist wohl der Fluch dessen, dass Sapkowski seinen Geralt recht klar definiert hat.
Bei Kassandra/Alexios sah dies hingegen ganz anders aus: Beim zweiten Mal (ich spielte Alexios) konzepierte ich ihn als einen emotional gebrochenen Mann, der mit Zorn und Kummer in die Welt blickt und entsprechende Entscheidungen fällt.
Zunächst agiert er egoistisch und berechnend und ohne Mitleid. Entsprechend wird er von der Rache getrieben. Es gibt lediglich einzelne Personen, die sein Herz nach und nach erweichen können.
So wandelt er sich später von einem zynischen zu einem zunehmend optimistischeren und fröhlicheren Charakter, bis er erschreckend feststellen muss, dass eben jenen Menschen, die ihn zu einem besseren Mann machen, schlimme Dinge widerfahren und er mitunter selbst Schuld daran trägt.
Seine persönliche Tragödie ist es, dass er erkennt, dass ein glückliches Leben ihm niemals vergönnt sein werde und dass es seine dunkle Seite ist, die einen tatsächlichen Unterschied in der Welt machen kann. Deshalb verdient er es nicht, geliebt zu werden.
Ich habe beide Games später jeweils noch ein drittes Mal durchgezockt, wobei Geralt auch hier Geralt blieb, während meine Kassandra erneut ein merklich anderer Charakter war als in den beiden Durchläufen davor.
Dies führte mich letztlich zu der Erkenntnis, dass Assassin’s Creed Odyssey als Rollenspiel tatsächlich besser funktioniert als The Witcher 3 – auch wenn letzteres als Spiel insgesamt einen etwas originelleren und runderen Eindruck macht.
Bevor ihr also die Mistgabeln und Fackeln rausholt und mich aus der Stadt jagt, lasst euch meine Beschreibungen einmal durch den Kopf gehen und überlegt, ob es euch möglicherweise ähnlich ergangen sein mag. Wer weiß, vielleicht denke ich ja nicht als einziger so.
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