von Michael Sonntag (Sonntag, 12.03.2023 - 18:00 Uhr)
Als junger Knirps hatte Michael die Anno-Partie seines Lebens. Alles klappte wie am Schnürchen, seine Siedlung gedeihte prächtig – nichts konnte ihn aufhalten. Leider gab es da ein kleines Problem …
Besagte Anno-1602-Partie gehört zu meinen unheimlichsten und peinlichsten Gaming-Erfahrungen überhaupt und ich kann sie deshalb ohne Sorgen erzählen, weil ich mich hier auf spieletipps schon oft genug als Profi darstellen durfte.
Das Strategiespiel war damals das einzige, das auf unserem Familienrechner lief, und ich durfte es jeden Sonntagabend vor dem Abendessen ausgiebig spielen. So sehr ich mich auch bemühte, ich war mit acht Jahren dem Druck eines Lords noch nicht gewachsen, der Hunderte von Bewohnern mit Tabak und Wolle zufriedenstellen musste.
Egal, was ich tat, ich startete jedes Mal als euphorischer Entdecker und endete immer als armer oder toter Bettler. Aber immerhin verstand ich dann, was meine Eltern damit meinten, wenn sie am Tisch von einer harten Woche sprachen.
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Aber eines Abends konnte ich plötzlich viel schneller spielen als denken. Ich hatte eine geniale Eingebung nach der anderen, manchmal kam es mir sogar so vor, dass meine Handlungen bereits ausgeführt wurden, bevor ich überhaupt irgendetwas geklickt hatte. Es fing schon beim Start an, als die Schiffe aller Spieler lossegeln sollten. Meines ging direkt in Führung und steuerte auf eine Insel zu. „Was denke ich mir nur dabei?“, fragte ich mich.
Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine große Insel mit vielversprechenden Werten, hier gab es nicht nur Gold und Eisen, sondern auch Gewürze und Tabak zu holen. „Woher habe ich das gewusst“? Ich hinterfragte das nicht weiter, weil ich meinen Lauf nicht abbrechen wollte. Bei der Besiedlung kam es aber zu Problemen.
Ich klickte und klickte auf eine bestimmte Stelle, aber mein Kontor konnte aus irgendeinem Grund nicht dort platziert werden. Stattdessen landete es woanders, an einer viel besseren Position. Interessant, ich war nicht nur genial, ich konnte mich sogar selbst davon abhalten, Fehler zu machen. Für einen Moment überlegte ich, ob ich meine Eltern fragen sollte, was mit mir oder dem Computer nicht stimmte. Aber dann hätte ich mir vermutlich die Gelegenheit entgehen lassen können, zu gewinnen.
Die Steuerung fiel nach wie vor sehr merkwürdig aus. Entweder passierte nichts, wenn ich etwas anklickte, es verzögerte sich oder es geschah etwas ganz anderes. Die Anzeigen sahen ebenfalls merkwürdig eingeschränkt aus. So erschuf ich – im Kampf mit meinem geschickten Dämon – innerhalb einer halben Stunde ein sehenswertes Reich. Auch wenn viele meiner Ideen abgelehnt worden waren.
Die Häuser standen viel geordneter als sonst, die Bewohner waren zufriedener als sonst und alles lief allgemein viel organisierter und schneller ab: Hier baute ich einen Marktplatz hin, aber zur selben Zeit erweiterte ich den Holzfäller-Betrieb, beauftragte die Werft, weitere Schiffe zu entwerfen und erkundete andere Inseln.
Als ein Piratenschiff auftauchte, geriet ich kurz in Panik und verirrte mich mit der Kamera, aber als ich meine Insel wiedergefunden hatte, hatte sich mein Dämon bereits darum gekümmert … übrig blieben ein paar pixlige Blasen auf der Meeresoberfläche. Ich hatte keinen Grund, Angst zu haben, ich war jetzt schließlich ein Anno-Meister.
Erste Zweifel an meiner Genialität kamen mir, als ich meine gesammelte Macht dazu nutzen wollte, die anderen Spieler zu vernichten. Mein anderer Teil legte jedes Mal ein Veto dagegen ein und ignorierte meine Pläne, Kasernen und andere Kriegsgebäude zu bauen. Er war nur daran interessiert, sich zu vergrößern und alles nach demselben Schema weiterzuentwickeln.
„Wie langweilig“, dachte ich, und hoffte darauf, dass die anderen mich angriffen und dazu provozierten, umzudenken. Während mein Dämon vor sich hinexpandierte, schaute ich mich bei den Gegnern um. Von ihren Handlungen ausgehend, schienen sie leider auch nicht an Krieg interessiert zu sein. Ganz im Gegenteil – die waren sogar so ideenlos, dass sie meine Strukturen und Systeme nachahmten. Man hätte ihre Inseln gleich mit meiner verwechseln können.
„Na toll, was habe ich denn jetzt davon?“ Und während ich so gelangweilt über die Karte fuhr, entdeckte ich ein einsames Schiff. Ein Schiff mit blauem Segel. Ein Schiff, das noch voll beladen mit Startgütern war. „Wer ist denn so dumm, gar nicht erst loszufahren?“ Ich wählte es probeweise an und befahl ihm, nach rechts zu segeln, es reagierte sofort – ohne dass der Dämon etwas dagegen hatte.
Und ich verstand sofort und musste lachen. Ich hatte die gesamte Zeit über meinem Gegner beim Spielen zugesehen. Und das da, das war mein Schiff. Das Schiff eines Idioten.
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